Der Rezensent

Studiendirektor Dietmar Schug ist Regionaler Fachberater Sozialkunde und unterrichtet die Fächer Sozialkunde, Katholische Religion und Deutsch am Erich-Klausener-Gymnasium Adenau.

Bücher für den Politikunterricht: Zeitenwende – Deutsche Außenpolitik

  • Wolfgang Sander, Kerstin Pohl (Hg.): Handbuch politische Bildung. Wochenschau Verlag: Frankfurt/M. 2022, 640 S.

Das nun in der fünften Auflage vorliegende Handbuch politische Bildung beansprucht „alle relevanten Grundlagen der politischen Bildung“ zu repräsentieren und geht dabei „von einem weit gefassten Verständnis von politischer Bildung“ aus. Herausgegeben wird es von Wolfgang Sander und in dieser Auflage erstmals von Kerstin Pohl in zwei Versionen (Hardcover- und günstigere Print­ausgabe). 24 neue Autorinnen und Autoren sollen „das wissenschaftliche und generationelle Spektrum des Faches repräsentieren“. Der 640 Seiten starke und 64 (!) Beiträge umfassende Band ist in sechs übergeordnete Kapitel gegliedert. In Kapitel I, wissenschaftliche Grundlagen, werden u. a. politikdidaktische Konzeptionen, Hermeneutik, Pragmatismus und Konstruktivismus diskutiert und Befunde der politikdidaktischen Forschung vorgestellt. Abgerundet wird das Kapitel mit einer kritischen Diskussion der Kompetenzorientierung als Konfliktfeld der politischen Bildung durch Wolfgang Sander. Politikdidaktische Konzeptionen können nach Ansicht Michael Mays und Kerstin Pohls eine „große praktische Relevanz“ entfalten, weisen aber auch gleichzeitig eine „offene Flanke“ bezüglich empirischer Erforschung auf. Sebastian Fischer und Dirk Lange betonen insbesondere die zentrale Bedeutung qualitativer empirischer Forschung in der Politikdidaktik. In Georg Weißenos Artikel zur quantitativen empirischen Forschung zur politischen Bildung wird kritisch konstatiert, dass sich der Wissensstand der Schülerinnen und Schüler in den letzten zehn Jahren nicht verbessert habe. Ihm zufolge führt kein Weg an „belastbaren empirischen Daten vorbei“.

Kapitel II beschäftigt sich mit Institutionen und Praxisfeldern politischer Bildung und ermöglicht bereichsspezifische Erkenntnisse (vorschulische Einrichtungen, Schule, Jugend- und Erwachsenenbildung, Lehrerbildung, Bundeszentrale und Landeszentralen für politische Bildung, Verbände, Materialien, Onlineangebote). Didaktische Prinzipien sind Gegenstand der Beiträge in Kapitel III. Diskutiert werden hier folgende zentrale Prinzipien: Adressatenorientierung, Problemorientierung, Kontroversität, Exemplarisches Prinzip, Handlungsorientierung und Wissenschaftsorientierung. Inhaltsbezogene Aufgabenfelder werden in den siebzehn Beiträgen von Kapitel IV bearbeitet. 

Acht Artikel sind neu hinzugekommen: Politische Prozesse als Gegenstand politischer Bildung, Gesellschaft als Gegenstandsfeld politischer Bildung, Demokratielernen als politische Bildung, Förderung von Fach- und Bildungssprache, Emotionen und politisches Lernen, Gesellschaftliche Diversivität: Herausforderungen und Ansätze, Medienbildung im Zeitalter der Digitalisierung. Von besonderer Aktualität ist sicherlich Inken Heldts Beitrag zu diesem letzten Thema. Das Lernen über Medien in der politischen Bildung verfolge dabei einen doppelten Anspruch: „In handlungs- und nutzungsbezogener Perspektive zielt es auf die reflexive Sensibilisierung für eigene Mediennutzungs- und Partizipationsstrategien im digitalen Raum.“ In inhaltsbezogener Perspektive gehe es dagegen um „die politische Brisanz von Digitalisierung.“ 

In Kapitel V setzen sich 16 Aufsätze mit Methoden und Medien der politischen Bildung auseinander. Hans-Werner Kuhns Fazit zur Arbeit mit Texten fällt skeptisch aus: „Der Einsatz der verschiedenen Textsorten, der methodische Umgang und die Wirkung sind weitgehend unbekannt“ und die „politikdidaktische Betrachtung der unterrichtlichen Textarbeit“ sei „eher ein Desiderat.“ Forschendes Lernen mittels Recherche, Interview und Expertenbefragung stehen im Zentrum von Joachim Detjens Überlegungen, die insbesondere die lernpsychologischen Vorzüge dieses nachhaltigen Lernens betonen. Beliebte, aber partiell sehr aufwändige Makromethoden für komplexe Lernvorhaben (Planspiel, Projekte, Sozialstudie, Zukunftswerkstätten) nimmt Kerstin Pohl in den Blick. Sie hebt dabei insbesondere die Bedeutung der Inhaltsdimension der Projekte und das große Potential von Planspielen primär auf der Politics-Ebene hervor. „Wie keine andere Methode eignen sich Planspiele, politische Prozesse ins Zentrum zu stellen und die Notwendigkeit strategischer und machtpolitischer Überlegungen in den Blick zu nehmen.“

Der politischen Bildung im internationalen Vergleich sind in Kapitel VI sechs Beiträge gewidmet: zu Österreich, Schweiz, Luxemburg, der Europäischen Union, Asien und den USA. Nicht zuletzt in der ausführlichen komparativen Perspektive wird deutlich, dass Testleistungen zum politischen Wissen in den meisten der vorgestellten Länderstudien eher unterdurchschnittlich ausfallen und erhebliche Mängel hinsichtlich der Lehrerausbildung und der institutionellen Verankerung des Faches (z. B. in Luxemburg) vorliegen. Innerhalb der EU existiert kein Konsens darüber, ob eine europäische Identitätsbildung überhaupt angestrebt werden sollte. In einigen Ländern (Ungarn, Polen, Frankreich) lassen sich eine zunehmende Bedeutung von Partizipation und nationaler Identitätsbildung feststellen. Wenig Einigkeit herrscht auch bei den Bildungszielen in den USA. Politische Bildung ist dort insbesondere nach den Trump-Jahren so umstritten wie seit langem nicht mehr.

Erneut ist es dem Wochenschau Verlag gelungen, ein bewährtes Standardwerk in umfassend überarbeiteter Auflage vorzulegen, das einen fundierten Überblick über zahlreiche Themenfelder ermöglicht. Eher normativ oder empirisch argumentierende Herangehensweisen finden ebenso Berücksichtigung wie neuere Tendenzen und Entwicklungen des Faches, die das intergenerativ erweiterte Autorenteam aufgreift. Zahlreiche Stichworte lassen sich mittels eines sehr differenzierten Glossars erschließen. Ob der von den Herausgebern angesprochene Spagat im Hinblick auf die drei Nutzergruppen (Fachlehrkräfte und Pädagoginnen und Pädagogen in der außerschulischen politischen Bildung, Studierende und Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst, bildungspolitisch Interessierte) gelungen ist, muss der Leser selbst entscheiden. 

Positiv hervorzuheben sind einige unterrichtspraktische Konkretisierungen. Nicht zuletzt die intensive Berücksichtigung komparativer Perspektiven lässt die Defizite der politischen Bildung in Deutschland in einem anderen, etwas milderen Licht erscheinen. Aus Sicht des Rezensenten sollten bei einer späteren Neuauflage unbedingt weitere unterrichtspraktische Hinweise integriert und im Vorwort deutlicher auf Veränderungen gegenüber der letzten Auflage verwiesen werden. Gerade aus der Sicht der Lehramtsstudierenden und Referendare müssten zentrale unterrichtspraktische Konkretisierungen in einer zusätzlichen Überblicksdarstellung eingehender gewürdigt werden. Eine thematische Einführungsseite pro Unterkapitel sowie knappe Zusammenfassungen zu den Einzelartikeln könnten die erste Orientierung des Lesers erleichtern. Ähnliches gilt für die Integration weiterer grafischer Darstellungen. Trotz dieser leichten Einschränkungen liegt ein voluminöses Standardwerk der politischen Bildung für die nächsten Jahre vor, das in jede Lehrerbibliothek gehört und dem weite Verbreitung zu wünschen ist.


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