Die Rezensent*innen

Dr. Martin Thüne, Kriminologe und Polizeiwissenschaftler an der Thüringer Fachhochschule für öffentliche Verwaltung

Joanna Bedersdorfer, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich Politikdidaktik/Politische Bildung an der FU Berlin

Bücher für den Politikunterricht - POLITIKUM 2/2023

Iris Baumgardt, Dirk Lange (Hg.): Young Citizens. Handbuch politische Bildung in der Grundschule. Bundeszentrale für politische Bildung: Bonn 2022, 475 Seiten 

Dass auch Grundschüler*innen ein Interesse an und ein Recht auf politische Bildung sowie politische Handlungsmacht haben, wurde in den politikdidaktischen Diskussionen lange zu wenig thematisiert. Das neue Handbuch „Young Citizens“ von Iris Baumgardt und Dirk Lange ist Teil einer begrüßenswerten Trendwende und ein wichtiger Schritt hin zu einer weiteren Professionalisierung und Aktualisierung von Forschung und Praxis im Bereich politische Bildung in der Grundschule. Die Autor*innen setzen sich mit dem Band zum Ziel, einen Beitrag „zur kritischen Diskussion der verschiedenen Ebenen politischer Bildung im Grundschulalter [zu] leisten“ (13). Das Handbuch formuliert einen klaren Anspruch: Es brauche „neben gezielter politischer Bildung im Sachunterricht auch ein Mehr an Demokratie als Unterrichtsprinzip in allen Schulfächern und die Entwicklung der gesamten Institution Schule hin zu einem demokratischeren Ort“ (12). Zur Erreichung dieses Ziels reicht der Band in seinen fünf Kapiteln thematisch von Grundlagen der politischen Bildung und Sozialisation im Kindesalter über didaktische Prinzipien, methodische Zugänge, fachliche Perspektiven des Sachunterrichts hin zu großen Schlüsselthemen, die die Lebenswelt von Grundschüler*innen prägen. 

Im ersten Kapitel zu den Grundlagen werden unter anderem Entwicklungslinien der politischen Bildung in der Grundschule nachgezeichnet; es geht um die Lebenswelten von Kindern und deren politische Sozialisation, um Fragen der vermeintlichen „Neutralität“ sowie der Demokratie- und Bürger*innenbildung in der Grundschule in nationaler und europäischer Perspektive. Aufsätze wie der von Iris Baumgardt zur demokratischen Grundschule zeigen ein emanzipatorisches und partizipatives Verständnis von politischer Bildung: „Kinder verfügen über das Recht, sich eine eigene Meinung zu bilden, diese zu äußern, und sie haben das Recht, dass diese angemessen berücksichtigt wird (…) Kinder wollen stärker beteiligt werden – es liegt an den Erwachsenen, ihnen diese Partizipationsmöglichkeiten zu eröffnen“ (35). 

Es folgt ein Kapitel zu didaktischen Prinzipien, in dem neben bspw. der Schü­ler*innen- und Handlungsorientierung auch dem Prinzip des Lernens am Konflikt Aufmerksamkeit in einem Aufsatz von Bernhard Ohlmeier gewidmet wird. Ohlmeier schreibt hier treffend: „[d]er konfliktorientierte Ansatz in der politischen Bildung der Grundschule hat den didaktischen Vorteil, dass er anstelle einer abstrakten Institutionenkunde die sozialen, gesellschaftlichen und politischen Akteur*innen mit ihren oftmals unvereinbaren Interessen und Strategien in den Vordergrund rückt“ (158). Im dritten Kapitel zu den Dimensionen des sachunterrichtlichen Lernens werden Momente der politischen Bildung mit Blick auf beispielsweise geografisches, historisches oder ökonomisches Lernen aufgezeigt. Hier wird die Bedeutung verschiedener Sozialwissenschaften als Bezugswissenschaften für die politische Bildung betont. Zudem werden die Potenziale politischer Bildung fachübergreifend wie auch in weniger präsenten Schulfächern, etwa dem Kunstunterricht, beleuchtet. 

Durch die thematische Fokussierung von Klimawandel und nachhaltiger Entwicklung über Digitalisierung hin zu sozialer Ungleichheit, Rassismuskritik und Empowerment greift das vierte Kapitel eine vielfältige Bandbreite an Themen politischer Bildung auf, die sowohl gesamtgesellschaftlich als auch in Hinblick auf die politische Bildung als Schlüsselprobleme unserer Zeit diskutiert werden und damit auch für Schüler*innen der Grundschule hochrelevant sind. Abschließend werden im Handbuch verschiedene Methoden thematisiert: neben vielen Klassikern wie der Fishbowl, dem Rollenspiel und dem Expert*inneninterview auch interdisziplinäre Methoden der historisch-politischen Bildung wie die Zeit­zeug*in­nenbefragung. Besonders überraschend und spannend ist der Aufsatz zum Philosophieren mit Kindern von Susanna May-Krämer und Andreas Niesseler. 

Wie es gängig ist bei Handbüchern, sind die einzelnen Artikel kompakt geschrieben, wodurch hier allerdings einige Aufsätze etwas oberflächlich bleiben. In Bezug auf die Themen und Zugänge ist das Handbuch hochaktuell. Die Idee der politischen Bildung, die in dem Band vertreten wird, ist eine stark emanzipatorische, die in den verschiedensten Bereichen der Lebenswelt von Grundschüler*innen die Momente und Potenziale des Politischen herausarbeitet. Damit ist es den Herausgeber*innen gelungen, ein leicht zugängliches und zeitgemäßes Einführungs- und Nachschlagewerk für die Forschung und Praxis der politischen und der Demokratiebildung in der Grundschule zu verfassen. 


Kai E. Schubert (Hg.): Gesellschaftliche Spaltungstendenzen als Herausforderung. Beiträge zur ­Theorie und Praxis zeitgemäßer ­politischer Bildung für die und in ­ der Polizei. Verlag für Polizeiwissenschaft: Frankfurt/M. 2022, 147 Seiten 

Politische Bildung erfährt (auch) im Polizeikontext eine spürbare Renaissance. Zwar stellt sie bereits seit Jahrzehnten einen wichtigen Teil der polizeilichen Aus- und Fortbildung dar, bei genauer Analyse fällt allerdings auf, dass innerhalb der deutschen Polizei(en) ein unübersehbares Gefälle existiert, sowohl was die Quantität als auch was die Qualität entsprechender Bildungsangebote anbelangt. Dass diese Unzulänglichkeiten, also auch Leerstellen, in der jüngeren Vergangenheit wieder verstärkt in den Fokus geraten, hat nicht zuletzt mit rassistischen und antisemitischen Skandalen zu tun. In der Folge stellen sich Fragen nach dem Stellenwert, den methodisch-didaktischen Konzepten und der Wirksamkeit politischer Bildung innerhalb der Polizei neu. Die von Kai E. Schubert herausgegebenen Beiträge … greifen diese und weitere Aspekte auf und versuchen, Antworten zu finden. Um es vorwegzunehmen: Schubert ist es gelungen, eine kompakte, gut lesbare Aufsatzsammlung zusammenzustellen, die einen Einblick in den Status Quo politischer Bildungsarbeit in der Polizei eröffnet, konkrete Verbesserungs- bzw. Lösungsansätze liefert und zur Reflexion einlädt. 

Was den Status Quo anbelangt, stellt Christoph Kopke (Reihenherausgeber „Polizei – Geschichte – Gesellschaft“) in einem Vorwort zutreffend heraus: „Aber nicht nur in der polizeilichen Fortbildung, sondern auch in der Ausbildung ist politische Bildung bzw. das Fachgebiet ‚Politikwissenschaft‘ wichtig und Teil des Curriculums. Hier gibt es allgemein ‚Luft nach oben‘ und die Bundesländer sind hier sicherlich auch sehr unterschiedlich aufgestellt.“ (7) In der Einleitung skizziert Schubert die titelgebenden gesellschaftlichen Spannungstendenzen, welche die polizeiliche Arbeit herausfordern, dabei allerdings nicht auf „das Außen“ beschränkt sind, sondern auch und gerade das Innenleben, mithin die Kulturen der Polizeiorganisationen erfassen. Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus sind Phänomene, denen sich die Polizei also auch im Binnenverhältnis widmen muss: „Für die Polizei in einer Demokratie kann es zu einem reflexiven Umgang mit der an sie adressierten Kritik langfristig keine sinnvolle Alternative geben.“ (12) Christoph Kopke und Philipp Kuschewski stellen grundsätzliche Überlegungen zur Relevanz politischer Bildung für die Polizei an und loten unter Bezugnahme auf konkrete Praxisprojekte aus, wo die präventiven Möglichkeiten, aber auch Grenzen politischer Bildungsarbeit zu verorten sind. Hendrik Cremer stellt die Grund- und Menschenrechte als zentralen Bildungsauftrag dar und geht der mitunter kontrovers diskutierten Frage detailliert nach, wie in der polizeilichen Aus- und Fortbildung mit rassistischen und rechtsextremen Positionen von Parteien umzugehen ist. Marco Gensch stellt einen interessanten Vergleich zwischen politischer Bildungsarbeit in der Bundeswehr und der Landespolizei Berlin mitsamt den jeweiligen rechtlichen sowie tatsächlichen Verankerungen an. Kai E. Schubert befasst sich in seinem Aufsatz spezifisch mit Antisemitismus als Gegenstand der akademischen Polizeiausbildung. Alexander Lorenz-Milord, Marc Schwietring und Alexander Steder stellen abschließend das Berliner Modellprojekt Regishut vor. Ziel dieses Projekts ist es, „(…) Angehörige der Landespolizei in speziellen Fortbildungen systematisch zu qualifizieren, damit sie aktuelle Erscheinungsformen von Antisemitismus besser erkennen, Betroffenenperspektiven berücksichtigen und die Sicherheitsbedarfe der jüdischen Gemeinschaft beachten“ (123). 

Im Anhang des Sammelbands befindet sich eine wertvolle, von Felicia Bayer, Christoph Kopke und Kai E. Schubert zusammengestellte Auswahlbiografie zu den Themenschwerpunkten „Polizei & Politische Bildung“, „Polizei & (Rechts-)Extremismus“, „Polizei & Gender“, „Polizei & Rassismus“, „Polizei & Geschichte“ sowie „Polizei & Antisemitismus“. Nachdrücklich zu empfehlen ist der Sammelband für Dozierende an polizeilichen Bildungseinrichtungen (und dies ganz unabhängig von den eigenen Lehrfächern!), für Auszubildende und Studierende selbst sowie für alle, die sich für die Polizei und deren Beforschung interessieren.

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