Der Autor

Prof. Dr. Michael Krennerich lehrt Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Er ist Vorsitzender des Nürnberger Menschenrechtszentrums e. V. und leitender Herausgeber der „Zeitschrift für Menschenrechte“.

Frontalangriff auf die Menschenwürde

Extreme Armut ist per se menschenrechtsfeindlich, da sie einen sozial ausgrenzenden, die Freiheiten einschränkenden Mangel darstellt und unzählige Menschen von der diskriminierungsfreien Nutzung ihrer Menschenrechte ausschließt. Zugleich bringen Menschenrechtsverletzungen auch Armut hervor, denn das Armutsrisiko steigt, wenn die Menschen in ihrem Bemühen unterdrückt werden, sich vor Not und Ausbeutung zu schützen.

Die Agenda 2030, mit der sich die internationale Staatengemeinschaft im Jahr 2015 vorgenommen hat, die weltweite Entwicklung ökologisch, wirtschaftlich und sozial nachhaltig zu gestalten, enthält u. a. das Ziel, extreme Armut bis 2030 überall zu beenden. Die absolute Armutsgrenze wurde dabei bei einem Pro-Kopf-Einkommen von 1,25 US$ am Tag (preisbereinigt 1,90 US$) an lokaler Kaufkraft (Kaufkraftparität) angesetzt. Das heißt: Wer nicht in der Lage ist, pro Tag die Menge an lebensnotwendigen Gütern zu kaufen, die vor Ort umgerechnet 1,90 US$ kosten würden, gilt als absolut oder extrem arm. Die Vereinten Nationen schätzen, dass im Jahr 2022 zwischen 657 und 676 Millionen Menschen weltweit in extremer Armut lebten. Die Corona-Pandemie hat die Erfolge vorangegangener Jahre aufgezehrt. Vor der Pandemie beliefen sich die – zugegebenermaßen sehr groben – Projektionen auf 581 Millionen Menschen (Vereinte Nationen 2022). Weit höher ist die Zahl derjenigen Personen, die nach den jeweiligen nationalen Armutsbemessungen als arm oder armutsgefährdet gelten, weil sie z. B. weit weniger als das durchschnittliche oder das mittlere Einkommen in dem jeweiligen Land zur Verfügung haben. Regional betrachtet ist das Problem der extremen Armut in Afrika südlich der Sahara, in Südasien und etlichen pazifischen Staaten besonders gravierend. Mit dem globalen Klimawandel, von dem diese Regionen besonders betroffen sind, wird sich, so ist zu befürchten, die dortige Armutsproblematik nochmals deutlich verschärfen.

Die Multidimensionalität von Armut
Ohne Zweifel ist Einkommensarmut ein zentraler Bestandteil von Armut. Der Armutsbegriff beschränkt sich aber nicht nur auf mangelndes Einkommen und Vermögen. So liegt auch der Agenda 2030 insgesamt ein ganzheitliches Verständnis von Armut zugrunde. Angestrebt ist, die Grundlagen für ein menschenwürdiges Leben zu schaffen, wie sie in einer Vielzahl der in der Agenda verankerten Ziele und Unterziele für eine nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) formuliert sind. So umfasst ein multidimensionaler Armutsbegriff auch soziale Komponenten, etwa den unzureichenden Zugang zu Nahrung, zu sauberem Trinkwasser, zur Sanitärversorgung, zu menschenwürdigen Unterkünften, zur Gesundheitsversorgung, zu sozialen Sicherungssystemen und zur Bildung. Es sind gerade Menschen in extremer Armut, die an Hunger und chronischer Unterernährung leiden, an leicht vermeidbaren und heilbaren Krankheiten erkranken und sterben, und unter höchst prekären, oft erbärmlichen…

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