Der Autor

Prof. Dr. Stefan Schieren, Kath. Universität Eichstätt-Ingolstadt und Mitherausgeber von POLITIKUM.

IndyRef2. Ein zweites Referendum über Schottlands Unabhängigkeit?

Ende Juni kündigte die schottische SNP-Regierung von Nicola Sturgeon an, dass am 19. Oktober 2023 ein zweites Unabhängigkeitsreferendum – „IndyRef2“ – stattfinden solle. Weil die britische Regierung ihre Zustimmung dazu verweigert, ergibt sich eine Reihe konstitutioneller und politischer Fragen.

Nach Jahrhunderten äußerst wechselvoller Beziehungen und zahlreicher fehlgeschlagener Versuche, Schottland militärisch zu unterwerfen, kam es im 17. Jahrhundert zur Personalunion der Kronen von England und Schottland. Jakob V. von Schottland aus der Stuart-Dynastie wurde nach dem Tod Elisabeths I. 1603 als Jakob I. zum englischen König gekrönt. 1706 vereinbarten beide formal noch souveränen Staaten vertraglich die Fusion zum Vereinigten Königreich, die 1707 durch die Parlamente beider Länder vollzogen wurde. Das schottische Parlament ging im britischen Parlament in Westminster auf. Nach der Niederschlagung der Rebellion 1745/46 erhoben sich die Schotten nicht mehr gewaltsam gegen die Union mit England. Für beinahe zwei Jahrhunderte schien es so, als dass die staatliche Unabhängigkeit Schottlands nur noch für eine kleine Schar unerschütterlicher Nationalisten ein Thema war. Als 1932 die SNP als Vereinigung zweier nationalistischer Splitterparteien gegründet wurde, spielte sie nicht einmal eine Nebenrolle in der britischen Politik. 

Die Krise von Staat und Wirtschaft ausgangs der 1960er Jahre verstärkte in Schottland jedoch den Eindruck, von London vernachlässigt zu werden. Einige Achtungserfolge hielten die SNP im Geschäft, bis der Wahlsieg von Margaret Thatcher 1979 den Boden für den Durchbruch der SNP als dominierende politische Kraft in der schottischen Politik der Gegenwart bereitete. 

Die Politik der konservativen Regierung führte zu einer wachsenden Konzentration auf London und den Süden Englands. Die verhasste kommunale Kopfsteuer, die poll tax, wurde zunächst in Schottland eingeführt, was dort den Eindruck erzeugte, Versuchslabor für eine umstrittene Politik zu sein. In der Konsequenz verloren die Konservativen, deren Hochburg Schottland in den 1950er Jahren gewesen war, beinahe alle Sitze. Doch wegen ihrer Dominanz in England konnten sie auf nationaler Ebene weiter die Regierung bilden. Von ihrer Warte aus konnte die SNP darauf verweisen, dass angesichts dieser Konstellation die Wähler Schottlands bedeutungslos seien. Im unitarischen Vereinigten Königreich wählten sie mit überwältigender Mehrheit Labour, Libe­ral Democrats und SNP und wurden doch von London aus von den englischen Konservativen regiert. Da sich innerhalb des United Kingdom kein Ausweg aus dieser Situation zu ergeben schien, konnte die SNP immer überzeugender die Karte „Independence“ ausspielen. Der Wille des schottischen Wählers könne nur zur Geltung kommen, wenn er in einem unabhängigen Staat Parlament und Regierung autonom bestimmen könne. Rückenwind erhielten die schottischen Nationalisten…

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