Der Autor

Dr. Wolfgang Renzsch ist Professor i. R. an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Er lebt in Berlin.

Kooperation statt Konkurrenz

Nach weniger als 100 Tagen im Amt sah sich die Bundesregierung mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine konfrontiert. Dieses Ereignis drängte andere Fragen in den Hintergrund. Welche Praxis des Bund-Länder-Verhältnisses im letzten Jahr zeichnet sich dennoch ab? Was waren dazu überhaupt die Intentionen der „Ampel“, wie sie im Koalitionsvertrag niedergelegt sind? Und wie lässt sich der Konflikt zwischen Bayern und dem Bund über die Energiepolitik einordnen?


Die Vorgeschichte
In den vergangenen fünf Legislaturperioden spielten Fragen des Bund-Länder-Verhältnisses eine wichtige Rolle und mündeten in die Bundesstaatsreformen von 2006 und 2009 sowie die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ab 2020, aber teilweise auch in die Rücknahme von Teilen der Reformen. Ziel der Reformbemühungen war eine Entflechtung von Aufgeben, bei denen Bund und Länder zusammenwirkten, und mehr Transparenz der Verantwortlichkeiten. So sollte die Eigenständigkeit und Eigenverantwortung der beiden staatlichen Ebenen gestärkt und die Zustimmungspflichtigkeit von Bundesgesetzen im Bundesrat reduziert werden. Die Möglichkeit zu parteipolitisch motivierten Blockaden im Bundesrat sollte eingeschränkt werden. 

Im Zentrum der Reform von 2006 stand eine Stärkung der Gesetzgebungsrechte der Länder (u. a. Strafvollzug, Beamtenbesoldung, Heimrecht, Ladenschluss, Gaststättenrecht, sozialer Wohnungsbau). Ferner wurde die Rahmengesetzgebung des Bundes abgeschafft und die Zustimmungspflicht des Bundesrates zu Bundesgesetzen aufgrund von Art. 84 Abs. 1 GG eingeschränkt. Aus den Gemeinschaftsaufgaben Hochschulbau und Bildungsplanung zog sich der Bund ebenso wie aus der Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus und der kommunalen Verkehrsin­frastruktur zurück. Sie gingen über in die Kompetenz der Länder. Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes wurde ein Abweichungsrecht zugunsten der Länder geschaffen. 

Mit der Reform 2009 wurden zwei neue Gemeinschaftsaufgaben eingeführt, nämlich die Zusammenarbeit von Bund und Ländern im IT-Bereich und die Möglichkeit, Vergleichsstudien über die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltungen zu erstellen. Wichtiger aber war die Einführung der „Schuldenbremse“, die Bund und Länder im „Normalfall“ auf ohne Schulden ausgeglichene Haushalte verpflichtete. 

Bereits 2015 begann die Rückabwicklung von Teilen der Föderalismusreformen. Zum 1. Januar 2015 wurde die restriktive Fassung („Kooperationsverbot“) des Art. 91b GG in ihr Gegenteil verändert: Bund und Länder konnten nun bei der Förderung von Wissenschaft, Forschung und Lehre zusammenwirken. An die Stelle der Entflechtung trat damit eine neue Verflechtung und – das war neu – erstmals auch im Bereich der Lehre an Hochschulen.

Neue Verflechtungen implizierte die 2017 (Art. 104c GG) geschaffene Möglichkeit, dass der Bund Ländern…

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