Die Autorin

PD Mag. Dr. Ursula Werther-Pietsch lehrt an der Universität Graz und der Bundeswehr Universität München Internationales Recht und Internationale Beziehungen. Sie ist Mitherausgeberin der Zeitschrift ‚The Defence Horizon Journal Special Edition‘.

Trotz allem: Arbeiten an Europas sicherheitspolitischer Moderne

Macht und Recht werden gerade neu kartografiert. Doch wie könnten Angelpunkte einer Neuordnung aussehen? Trotz aller Schwierigkeiten sollte in Zukunft mehr an einer umfassenden ‚Friedens‘-Architektur als an einer bloß sicherheitspolitischen Perspektive gearbeitet werden. Dies setzt ein völlig anderes Verständnis von Sicherheit voraus, nämlich menschliche Sicherheit, die Energie- und Ernährungssicherheit, aber auch Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Freiheit der Medien und vor allem ein Recht auf Identität im Sinn von gleichberechtigter Selbstbestimmung garantiert. Das lässt einen grundsätzlich anderen, vernetzten Zugang zu ‚gemeinsamen Problemen‘ und Kooperation zu als die alte, berechnende KGB-Logik, die Putins Strategie kennzeichnet.

Wie weit sind wir heute schon von den Vorstellungen entfernt, die die ‚Gründungsväter‘ der Charta der Vereinten Nationen geleitet haben? Haben wir idealistisches Terrain in unseren Köpfen bereits zugunsten eines überwältigenden, faktenschaffenden Realismus abgetreten? Angesichts des Ukrainekriegs und der Zertrümmerung der europäischen Sicherheitsarchitektur der Nachkriegsordnung scheinen Lösungen in weiter Ferne. Präsident Putin hat sich offenkundig verkalkuliert, Generäle, Admiräle und Soldaten verloren oder ausgetauscht, dennoch beherrscht er das Schachbrett des Krieges als mächtiger Stratege, denn zum Kriegführen gehört auch Zähigkeit (Sun Tsu, 2500 v. Chr.). Die auf multilateralem Weg geschaffenen Friedens­instrumente des 20. Jahrhunderts – Selbstbestimmung, Transitionsmechanismen wie Peacekeeping und Peacebuilding, Bündnisfreiheit, die normativen Bauprinzipien der Vereinten Nationen – scheinen aufgebraucht, aber sind sie das wirklich? Fest steht: Macht und Recht werden neu kartografiert.

Welche geopolitischen Szenarien sind denkbar?
Wie wird das Europa von morgen aussehen? Welche geopolitischen Faktoren bestimmen das Bild im Gefolge des tobenden Kriegs? Dazu ein paar Blitzlichter auf Konzepte und Akteure und ein Hinweis in eigener Sache. Einer These von Henry Kissinger folgend kommt ‚In-between States‘ eine Sonderfunktion im Gefüge von Geopolitik zu. Umworbene, begehrte Gebiete in Lage und Ausrichtung, Zünglein an der Waage, Vermittlerrolle, Querdenker – all diese friedenschaffenden Spielarten eines in die Jahre gekommenen Instruments sind doch Zugaben für Diversität und Eigenständigkeit. Zumindest in österreichischer Lesart schließt Neutralität die aktive Haltung zu einer Wertegemeinschaft ein. Neutral zu militärischen Bündnissen, aber nicht neutral zu Werten – eine Lösung für den gordischen Knoten mit der Nato in Anlehnung an die Schweiz. Diese Interpretation hätte im Fall der Ukraine gerade noch mit Blick auf einen EU-Beitritt zutreffen können; für einen Staat, der zum Ziel eines bewaffneten Angriffs geworden ist, wird Neutralität jedoch zum oktroyierten Opferstatus und bis auf weiteres nicht mehr in Frage kommen.

Regionaler…

Weiterlesen mit POLITIKUM+

Lesen Sie diesen und alle weiteren Beiträge aus Politikum im günstigen Abonnement.
Mit Ihrem Abonnement erhalten Sie die vier gedruckten Politikum-Ausgaben im Jahr sowie vollen Zugriff auf alle Politikum+ Beiträge des Online-Angebots.
Jetzt abonnieren
Sie haben Politikum bereits abonniert?
Jetzt anmelden

Ein Beitrag aus

Im Abonnement kein Heft verpassen