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Der Rezensent

Jannis Puhlmann, studierter Philosoph und Medienwissen­schaftler, ist freier Autor und forscht an der Univ. Heidelberg über die Phänomenologie psychischer Erkrankungen.

Das besondere Buch: Demokratie im Kreuzfeuer

Christoph David Piorkowski: ­Demokratie im Kreuzfeuer. Die Krise der liberalen Ordnung und die ­Internationale des Autoritarismus. Metropol Verlag: Berlin 2024, 176 S.


Der Siegeszug der liberalen Demokratie ist zu einem vorläufigen Halt gekommen. Von dem einst so unbeirrbaren Glauben, sie werde sich als die überlegene Gesellschaftsordnung erweisen und gegen totalitäre Regime in aller Welt durchsetzen, ist nicht mehr viel spürbar. Zuletzt haben rechtspopulistischer Aufschwung und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine das Vertrauen in ihre Durchsetzungskraft ­erschüttert. Tatsächlich zeigen aktuelle Erhebungen: Weltweit stehen immer mehr repressive Autokratien immer weniger Demokratien gegenüber. Was aber sind es für autoritäre Gegenmodelle, die der liberalen Welt die Stirn bieten? Welche Ideologien liegen ihnen zugrunde und wie lässt sich ihr neuerliches Erstarken erklären? Mit einem beeindruckenden Fundus an Forschungserkenntnissen und sprachlich brillant geht Piorkowski diesen Fragen in seinem Essay nach. Die liberale Demokratie werde, so seine Leitthese, „in einem Zangenangriff attackiert, aus ihrem Inneren genauso wie von außen bedroht“ (8). Piorkowski identifiziert vier innere und äußere Antagonisten des Liberalismus, die er auf ihre ideengeschichtlichen Wurzeln und gesellschaftspolitischen Wirkmechanismen hin analysiert: den Rechtspopulismus, den Islamismus, den russischen Antiliberalismus und den chinesischen Parteistaatskapitalismus.


Die ersten beiden Kapitel widmen sich der völkischen Rechten und dem modernen Islamismus. Piorkowski arbeitet überzeugend heraus, wie beide Bewegungen trotz ihrer vordergründigen Gegnerschaft durch eine weltanschauliche Verwandtschaft verbunden sind. Beide sind Produkte der Moderne, die mit modernsten Mitteln gegen die emanzipatorischen Errungenschaften der Moderne agitieren. Beide hegen den Wunsch nach einer Rückkehr zu einer vermeintlich reinen, ursprünglichen Gemeinschaft. Und noch eine Parallele hebt der Autor hervor: den „eliminatorischen Antisemitismus“ (28). Den Rechten wie den Islamisten gilt „der Jude“ als „Menschheitsfeind und Gegenprinzip, als personifiziertes Gift der Moderne, als Zersetzer der Einheit von Umma und Volk“ (38 f.). Kapitel 3 und 4 behandeln die derzeit größten staatlichen Gegenmächte der westlichen Demokratien: Russland und China. Den imperialistischen Revisionismus Russlands unter Putin leitet Piorkowski aus einem allgemeinen Gefühl der Erniedrigung durch den Westen seit den 1990er-Jahren her. Am Anfang habe jedoch nicht die Schmach ob des Verlustes einer einstigen geopolitischen Größe gestanden, sondern die Erfahrung eines wirtschaftlichen Verlustes, verursacht durch den schocktherapeutischen Umbau der sowjetischen Planwirtschaft: „Die konkreten sozioökonomischen Verluste gingen den empfundenen symbolischen Verlusten des geopolitischen Einflusses voraus“ (57 f.).


Anders als Russland fordert das China Xi…

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