Das streitbare Buch
Mark Schieritz:
Zu dumm für die Demokratie? Droemer Knaur: München 2025,
159 Seiten.
„Zu dumm für die Demokratie“ ist ein provokant-plausibler und zugleich in mancherlei Hinsicht problematischer Buchtitel. So hat wohl schon jede:r intuitiv bei diversen politischen Themen eben jenes gedacht: Manch andere Auffassungen seien nicht nur die zu tolerierenden Positionen von Andersdenkenden, sondern geradezu dumm. Der dabei mitschwingende Grundton, allein man selbst dürfe und könne darüber entscheiden, was gut oder schlecht, richtig oder falsch, schlau oder dumm sei, hat gleichwohl etwas Antidemokratisches.
„Vox populi, vox Rindvieh“, pflegte der ehemalige CSU-Politiker Franz Josef Strauß zu sagen, der bekanntlich nicht für das Florett in der politischen Auseinandersetzung stand. Mark Schieritz stellt an den Anfang seiner Überlegungen die These, dass angesichts des Aufstiegs populistischer und extremistischer Kräfte an die Stelle des (fraglos richtigen und notwendigen) Respekts vor dem Volk eine unkritische Verherrlichung von des Volkes Stimme getreten sei. Diese berühre den Kern der demokratischen Selbstbestimmung. Die Staatsgewalt geht in einer Demokratie zwar vom Volk aus und insofern sei Mehrheit gleich Wahrheit, aber es gebe zugleich gute Gründe, dem Volk nicht blind zu vertrauen. Denn „ohne einen echten Austausch von Argumenten auf der Basis eines gemeinsamen und empirisch überprüfbaren Wahrheitsverständnisses ist eine sinnvolle Debatte nicht möglich. Die Erde dreht sich um die Sonne und nicht an-dersherum. Darüber muss man nicht streiten“ (S. 15). Zugleich sei Spezifikum der libe-ralen Demokratie, dass die Mehrheitsregel in ein normatives Wertgerüst eingebettet sei, die bestimmte Rechte vor die Klammer ziehe – bestimmte Auffassungen dann tatsächlich inakzeptabel und dumm seien. Doch welche?
Auf schlanken 159 Seiten entwickelt Schieritz diese These elegant, sprachlich fesselnd und zugleich auf der Höhe des Standes der Debatten in politischer Philosophie von Platon über Charles Taylor, Kolja Möller, Gertrude Lübbe-Wolf bis Philipp Manow. Was also tun, wenn das Volk Unsinn glaubt? Mit einer „Vulgärdemokratie“ sei jedenfalls kein liberaler Staat zu machen. In sieben Kapiteln plus Einleitung und Schluss werden die Argumente sauber hergeleitet.
Schieritz gibt sich als Habermasianer mit einem normativen Verständnis von demokratischen Austauschprozessen. Damit sei jedoch nicht gemeint, dass das inhaltliche Ergebnis von Debatten vorgegeben wäre – denn sonst wären Debatten überflüssig. Es meint aber sehr wohl, dass ein Interesse an einem echten Austausch von Argumenten auf der Basis eines gemeinsamen und empirisch überprüfbaren Wahrheitsverständnis-ses vorhanden sein müsse. Was aber, wenn das nicht der Fall ist? Da liegt der Gedanke recht nahe, dass es erklärungsbedürftig sei, warum ausgerechnet das Volk nichts damit…
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