Demokratie unter Druck
Fake News, politische Manipulation und die neue Öffentlichkeit
Die politische Gegenwart ist geprägt von einem Rechtsruck, der liberale Demokratien weltweit herausfordert. Mit Trump, Bolsonaro, Milei, dem Brexit und einer neuen Klimawandelleugnung verändern sich Debattenkultur und Meinungsbildung in der Öffentlichkeit radikal. Wahrheit und Lüge scheinen zu verwischen, Fake News verbreiten sich digital schneller und ihre Aufdeckung verliert ihre entlarvende Kraft. Populisten wie Trump nutzen diese Dynamik nicht nur, um Meinungen als Fakten darzustellen. Hannah Arendt unterscheidet zwischen traditioneller und organisierter Lüge – letztere wird unter Trump & Co zunehmend Realität: Mit autoritären Maßnahmen, der Verdrängung unliebsamer Fakten und der Allianz mit Tech-Konzernen entsteht ein neues Wahrheitsregime mit faschistoiden Zügen.
Mit der ersten und zweiten Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten, dem Brexit, dem Aufstieg rechter (Regierungs-)Parteien in zahlreichen europäischen Ländern, dem Siegeszug der rechtsextremen Politiker Bolsonaro und Milei in Brasilien und Argentinien, dem Einfluss von rechten Verschwörungserzählungen in der Corona-Pandemie und einer neuen Konjunktur der Klimawandelleugnung hat ein neues Zeitalter des Politischen begonnen, in dem die liberale Hegemonie zunehmend von rechts herausgefordert wird. Neben dem Erstarken von rassistischen, nationalistischen und chauvinistischen Positionen und Maßnahmen geht mit dieser Entwicklung auch eine Veränderung der öffentlichen Debattenkultur und Meinungsbildung einher. Eingebettet in die fortschreitende Digitalisierung ist eine Konjunktur von Lügen, Falschaussagen, Verschwörungstheorien und Halbwahrheiten zu beobachten, die verbunden ist mit Wissenschaftskritik und Intellektuellenfeindlichkeit. Wenn wir Öffentlichkeit mit Jürgen Habermas als Netzwerk für die Kommunikation von Inhalten und Stellungnahmen verstehen, dann hat diese Konjunktur das Potenzial, die Grundfeste der öffentlichen Meinungsbildung zu erschüttern.
Seit der ersten Wahl Donald Trumps wird darüber debattiert, ob wir in ein neues, post-faktisches Zeitalter eingetreten sind. Die Gesellschaft für Deutsche Sprache kürte 2016 das Adjektiv „post-faktisch“ zum Wort des Jahres, das Oxford Dictionary wählte zeitgleich „post-truth“ zum Pendant. Diese Wortneuschöpfungen verweisen darauf, so die Begründung, „dass es heute zunehmend um Emotionen anstelle von Fakten geht. Immer größere Bevölkerungsschichten sind in ihrem Widerwillen gegen ,die da oben‘ bereit, Tatsachen zu ignorieren und sogar offensichtliche Lügen zu akzeptieren. Nicht der Anspruch auf Wahrheit, sondern das Aussprechen der ‚gefühlten Wahrheit‘ führt zum Erfolg“ (http://gfds.de/wort-des-jahres-2016).
Diese Diagnose ist durchzogen von einer Nostalgie für das Vergangene, für ein Zeitalter der Fakten, da Politik noch nichts mit Emotionen zu tun gehabt habe, als es noch nicht um Macht, sondern um Argumente gegangen sei. Die Kritik folgte auf dem Fuße und zahlreiche Kommentator:innen wiesen darauf hin, dass die Lüge stets ein zentrales Mittel der Politik war, und zwar auch in liberalen Demokratien. Was aber ist dann neu an der aktuellen Situation? Zwei Beobachtungen stechen auf den ersten Blick ins Auge: die schiere Zahl der Lügen und das Tempo ihrer Verbreitung im Zeitalter der Digitalisierung und der bemerkenswerte Umstand, dass die Entlarvung der Lüge ihren Urhebern nicht mehr zu schaden scheint. Während Richard Nixon 1974 nach der Aufdeckung seiner Lügen im Watergate-Skandal zurücktreten musste, konnte Donald Trump trotz (oder wegen?) seiner zahllosen Falschaussagen ein zweites Mal ins Weiße Haus einziehen. Richten wir den Blick auf Trump in seiner zweiten Amtszeit – oder wahlweise nach Argentinien unter Milei oder Ungarn unter Orbán –, wird zudem die Frage drängend, ob die Phase rechtspopulistischer Fake News im Diskursraum der Öffentlichkeit in eine Phase faschistoider, tiefer greifender Manipulation von öffentlicher Meinung, Wissensproduktion und -verbreitung übergeht.
Von der traditionellen zur modernen Lüge
Um diese Dynamiken im Spannungsfeld von Wahrheit und Lüge, Meinungsbildung und Manipulation einordnen zu können, hilft ein Blick auf die Theoriegeschichte der Lüge und insbesondere auf das Werk von Hannah Arendt. Im Anschluss an Aurelius Augustinus geht die klassische Lügendefinition von einem absichtsvollen Vorgehen aus, das zwischen Wahrem und Unwahrem zu unterscheiden weiß und mit Bedacht das Falsche zum Ausdruck bringt. Es war Friedrich Nietzsche (1988), der als einer der Ersten über die traditionelle Form der Lüge hinausgedacht hat, indem er sich nicht für die Lüge interessierte, die die Wahrheit verheimlicht, sondern für die strukturelle Lüge, die an die Stelle der Wahrheit tritt. Ihm ging es um den Willen zur Macht, der seine Perspektive absolut setzt und als Wahrheit zu verallgemeinern sucht.
Einen ähnlichen Gedanken finden wir bei Hannah Arendt (2013), die traditionelle von modernen Lügen unterscheidet, wobei erstere auf das Verbergen und letztere auf das Vernichten von Wahrheit hinauslaufen. Während sich die traditionelle Lüge gewissermaßen von selbst zeigt, weil der Wahrheitsmaßstab intakt bleibt, gelte dies für die moderne, organisierte Lüge nicht mehr: „Wenn die modernen Lügen sich nicht mit Einzelheiten zufrieden geben, sondern den Gesamtzusammenhang, in dem die Tatsachen erscheinen, umlügen und so einen neuen Wirklichkeitszusammenhang bieten, was hindert eigentlich diese erlogene Wirklichkeit daran, zu einem vollgültigen Ersatz der Tatsachenwahrheit zu werden, in den sich nun die erlogenen Einzelheiten ebenso nahtlos einfügen, wie wir es von der echten Realität her gewohnt sind?“ (Arendt 2013, 78).
Die organisierte Lüge ist extrem voraussetzungsvoll. Sie erfordert die Macht, alle Beweise für das Gegenteil, alle Zeugnisse, Zeugen und Geschichtsbücher entsprechend anzupassen, die realen Ereignisse also dem organisierten Vergessen anheimzugeben. Wenig überraschend findet sie sich vor allem in autoritären und totalitären Regimen, als zentrales Beispiel dient Arendt der stalinistische Versuch, alle Zeugnisse der Existenz Leo Trotzkis aus Alltag, Bildung und Kultur verschwinden zu lassen.
Doch nicht nur die organisierte Lüge ist Arendt zufolge anti-demokratisch; auch die Wahrheit werde despotisch, wenn sie an die Stelle der Politik trete, da sie den Raum der politischen Auseinandersetzung und damit den Raum des Handelns schließe. Für Arendt liegt die Wahrheit am Anfang des Denkens, aber sie ersetzt diese nicht, denn kein Sachverhalt, kein Tatbestand offenbart sich so vollständig, dass er selbst den Maßstab des Handelns bestimmen würde. Gleichwohl geht mit der daraus folgenden Aufwertung von Meinungen keine Relativierung der zugrundeliegenden Tatsachen einher, im Gegenteil: „Die Trennungslinie zwischen Tatsachen und Meinungen zu verwischen, ist eine der Formen der Lüge“ (Arendt 2013, 73 f.).
Um nur ein Beispiel zu nennen: Es ist eine Sache, aus der Havarie des Atomkraftwerks in Fukushima den Schluss zu ziehen, Atomkraft sei dennoch unbedenklich und eine Revidierung der Energiepolitik unnötig. Es ist etwas ganz anderes, die Havarie selbst zu leugnen und die Meinung, dass eine energiepolitische Wende unnötig sei, auf die Leugnung der Tatsache selbst zu stützen.
Arendt weist nun darauf hin, dass Tatsachen dieser Art nicht nur durch bewusste Fälschungen, sondern auch durch Meinungen bedroht werden. Wenn die Macht zur organisierten Lüge mit der ihr eigenen radikalen Entwirklichung fehle, werde immer häufiger auf den Modus der Meinung ausgewichen, für die dann das Recht auf Meinungsfreiheit in Anspruch genommen wird. Wie ich im Folgenden am Beispiel Donald Trumps zeigen möchte, war diese Praxis charakteristisch für seine erste Amtszeit, während aktuell eine Revitalisierung der organisierten Lüge zu beobachten ist.
Trump & Co 1: Das populistische Wahrheitsspiel
Zugespitzt formuliert und in Anlehnung an Nietzsches Diktum, Wahrheit sei „die Verpflichtung, nach einer festen Konvention zu lügen“, wird im System Trump & Co radikal wider die Konvention gelogen. So radikal, dass die Falschheit von Aussagen leicht erkennbar ist, so offensichtlich, wie wir es aus demokratischen Systemen nicht kennen. Zugleich ist die Lüge zumeist so situativ, so wenig in ein kohärentes System verwoben, dass von einer Entwirklichung der Welt nicht die Rede sein kann.
Folgen wir Arendt, ist die moderne Lüge dadurch erfolgreich, dass sie den Kontext der Lüge so systematisch verändert, dass die Lüge nicht mehr erkennbar ist. Ganz anders bei Trump & Co in der ersten Amtszeit: Hier bleibt der Kontext nicht nur erhalten, nein es geht vielmehr darum, zu demonstrieren, dass es möglich und geboten ist, diesen Kontext als – im Sinne der modernen Lüge verlogene – Wirklichkeit der (vermeintlichen) Eliten zu ignorieren.
In dieser Konstellation ist die Bezichtigung der Lüge kein Problem für den Lügner, sondern Ausweis der elitären Position der Kritikerin. Tatsachen und Sachverhalte werden dabei weniger durch bewusste Fälschungen oder organisierte Lügen als von Ansichten und Meinungen bedroht: Wenn Trump seinerzeit spekulierte, dass die Arbeitslosigkeit in den USA bei 42 Prozent liegen könnte und dass er diese Meinung gehört habe, dann kritisierte er die offizielle Zahl von 5,3 Prozent nicht mit Blick auf problematische Erhebungsmethoden oder ein zu enges Verständnis von Arbeitslosigkeit, sondern er stellte der Zahl eine Meinung gegenüber, für die er weitere Gewährsleute anführte und das Recht der Meinungsfreiheit beanspruchte.
Mit Arendt gesprochen ist das Verwischen dieser Trennlinie zwischen Tatsachen und Meinungen eine besondere Form der Lüge, die vor allem dann auftritt, wenn die Macht fehlt, die Tatsachen selbst zu manipulieren – in diesem Fall die Daten des United States Census Bureau.
Doch ist der Topos der Lüge tatsächlich angemessen, wenn der Maßstab der Wahrheit keine Rolle mehr spielt? Möglicherweise haben wir es eher mit dem zu tun, was der amerikanische Philosoph Harry Frankfurt als Bullshit bezeichnet hat. Bullshit zeichne sich durch seine radikale Gleichgültigkeit gegenüber der Frage aus, wie die Dinge wirklich sind: „Der Lügner verbirgt vor uns, daß er versucht von einer korrekten Wahrnehmung der Wirklichkeit abzubringen. […] Der Bullshitter hingegen verbirgt vor uns, daß der Wahrheitswert seiner Behauptung keine besondere Rolle für ihn spielt“ (Frankfurt 2014, 41).
Einerseits drängt sich die Bullshit-Diagnose auf, werden von Trump & Co doch laufend Falschaussagen produziert, die keiner Täuschungsabsicht folgen und zudem hochgradig inkohärent sind; auch Frankfurt selbst hat Trump als prototypischen Bullshiter bezeichnet. Andererseits führt die Diagnose in die Irre, ja sie läuft sogar auf eine Entproblematisierung des Systems Trump & Co hinaus. Es gerät aus dem Blick, dass sich die einschlägigen Akteure am Spiel der Lügner und Wahrsager nicht nur nicht beteiligen, sondern dass sie das ‚Wahrheitsspiel‘ mit seinen Regeln der Wahrheitsfeststellung (Veridiktion) neu erfinden.
Dass es in der Geschichte unterschiedliche Modi der Wahrheitsfeststellung gegeben hat, kann man zum Beispiel sehen, wenn man mit Michel Foucault (2010) ins 11. Jahrhundert zurückblickt, als in europäischen Gerichtsverfahren die Probe das Mittel der Wahl der Wahrheitsfindung war. Der Richter urteilte seinerzeit nicht, sondern wachte nur auf die Einhaltung der Regeln eines ritualisierten Zweikampfes. Der Sieger dieses Zweikampfes bekam Recht, sein Standpunkt wurde zum wahren Standpunkt erklärt. Wenn man sich Beispiele dieser Art vor Augen führt, dann kann auch die populistische Erschütterung etablierter Modi der Wahrheitsfeststellung als Versuch gelesen werden, neue Spielregeln zu setzen. Um dies zu verdeutlichen, lohnt ein Blick auf die Kontextbedingungen der digitalen Medien- und Aufmerksamkeitsökonomie sowie auf das Demokratieverständnis rechter Populisten.
Die digitale Medien- und Aufmerksamkeitsökonomie
Die Erfolge des Systems Trump & Co haben wesentlich damit zu tun, dass es eingebettet ist in eine Medien- und Informationsökonomie, die einen Resonanzraum für das neue Wahrheitsregime erzeugt. Im Zuge der Digitalisierung und des rasanten Bedeutungsgewinns sozialer Medien findet eine Fragmentierung von Öffentlichkeit statt, die zugleich mit einer Quantifizierung und partizipativen Praxis der Wahrheitsfeststellung einhergeht, begleitet von einer neuen Kultur der Unmittelbarkeit. Es entstehen die vieldiskutieren Echokammern, in denen Menschen vor allem mit Gleichgesinnten kommunizieren und in denen der Zugang zur Wirklichkeit in einem Ausmaß selektiv wird, das wir aus der analogen Welt auch, aber nicht in dieser Radikalität kennen; die Algorithmen von Google, Facebook, Amazon und YouTube schaffen Realitätsblasen und eigene Welten, Fake News und ihre zielgruppengenaue Verbreitung sind auch eine Konsequenz aus dem Geschäftsmodell des digitalen Kapitalismus.
Angesichts der großen Flut von Informationen, Fakten und Meinungen entstehen Wahrheitsmärkte, auf denen mit der Währung Aufmerksamkeit gezahlt wird. Es handelt sich dabei um ein partizipatives Wahrheitsspiel, zahlt doch jede mit ihren Likes und Links in der entscheidenden Währung Aufmerksamkeit. An die Stelle der inhaltlichen Validierung einer Position tritt die Quantifizierung der Bezugnahmen, wahr wird, was die Mehrheit rezipiert. Zugleich sind wir mit einer Ökonomie der Unmittelbarkeit konfrontiert, die in ihrem situativen Momentcharakter die langsamen Mühlen demokratischer Prozesse schwächt und dazu beiträgt, dass eine Information an Qualität dadurch gewinnt, dass sie sofort geteilt wird; nicht aber dadurch, dass sie nachträglich auf ihre Richtigkeit und Konsistenz überprüft wird.
Rechtspopulismus und identitäre Demokratie
In diesem Resonanzraum ist ein politisches Projekt gediehen, das weit mehr ist als an der Wahrheit uninteressierter Bullshit. Es ist ein politisches Projekt, das die Fragmentierung der Öffentlichkeit und die quantitative, partizipative Wahrheitsfeststellung für einen populistischen Anti-Establishment-Gestus nutzt, der auf anti-pluralistische Vereinheitlichung zielt und eng verbunden ist mit Vorstellungen einer identitären Demokratie: Populisten behaupten „dass es ein homogenes Volk mit einem einzigen authentischen Willen gebe, welcher den Populisten als politi-scher Auftrag diene (und den nur die populistischen Führungsfiguren richtig verstehen könnten)“ (Müller 2017, 114).
Trump hat in seiner Inaugurationsrede 2017 keinen Zweifel daran gelassen, dass er allein das sogenannte Volk zu verkörpern beansprucht: „Worauf es wirklich ankommt, ist nicht, welche Partei unsere Regierung führt, sondern ob unsere Regierung vom Volk geführt wird. Der 20. Januar 2017 wird als der Tag in der Erinnerung bleiben, an dem das Volk wieder zu den Herr-schern dieser Nation wurde.“ Diese Aussage beruht, ganz in der Tradition des Staatsrechtlers Carl Schmitt, nicht auf der Anzahl der Wähler:innenstimmen oder Daten zur Unterstützung der Politik Trumps, sondern auf der Behauptung eines ‚Volkswillens‘ jenseits empirischer Evidenz. Der den Nationalsozialisten als Cheftheoretiker dienende Carl Schmitt hat dies bereits zu Zeiten der Weimarer Republik formuliert: „Die einstimmige Meinung von 100 Millionen Privatmen-schen ist weder Wille des Volkes noch öffentliche Meinung. Der Wille des Volkes kann durch Zuruf, durch acclamation, durch selbstverständliches unwidersprochenes Dasein ebenso gut und noch besser demokratisch geäußert werden als durch den statistischen Apparat, den man seit einem halben Jahrhundert […] ausgebildet hat.“ (Schmitt 1991 [1923], 22 f.)
Der ‚lockere‘ Umgang mit Daten, Zahlen und Statistiken ist also weit mehr als spontanes Lügen oder chaotisches Regieren. Er ist eingebettet in ein Wahrheitsregime eigener Art, in dem eine autoritäre Führungsfigur den Wunsch und Willen des im Singular gedachten Volkes verkörpert, in dem also die Meinung des Einzelnen zum Wollen und zur Wahrheit der Vielen wird – ganz im Sinne der Quantifizierung der Veridiktion, die ihrerseits ohne empirischen Nachweis auskommt. Auch wenn es paradox klingt, trägt gerade die Fragmentierung der Öffentlichkeit zur Stärkung dieses machtvollen Anti-Pluralismus von oben bei.
Trump & Co 2: Die faschistoide Rückkehr
der organisierten Lüge
Schon in den ersten Tagen der zweiten Amtszeit haben Trump & Co unter Beweis gestellt, dass ein anderer Wind weht als 2017. Unmittelbar nach der Inaugurationsfeier am 20. Januar 2025 hat der neue Präsident zahlreiche Dekrete unterzeichnet, u. a. zur Begnadigung von verurteilten Kapitol-Stürmern, zum Austritt aus der Weltgesundheitsorganisation WHO und zur Abschaffung der Einbürgerung von in den USA geborenen Kindern, deren Eltern keine amerikanischen Staatsbürger:innen sind. Zwar trägt auch die Inaugurationsrede vom Januar 2025 deutlich populistische Züge, wenn Trump behauptet, dass viele Jahre lang „ein radikales und korruptes Establishment unseren Bürgern Macht und Reichtum entzogen“ habe. Zugleich werden in der Rede – und mehr noch in den politischen Maßnahmen der ersten Wochen – aber deutlich faschistoide Züge sichtbar(er): Der extreme Nationalismus des MAGA-Projekts (Make America Great Again) wird weiter radikalisiert, verbunden mit der Stilisierung von Trump als Führerfigur, der von Gott auserwählt wurde, um den „schrecklichen Betrug“ der internationalen Mächte am amerikanischen Volk zu beenden. Gewaltverherrlichend sind die breit gestreuten Bilder von Abschiebungen vermeintlicher Gang-Krimineller, aber auch die wiederholt angekündigte Ausweitung der Todesstrafe. Migrant:innen, queere Menschen und Wissenschaftler:innen dienen als zentrale Feindbilder, vor denen das amerikanische Volk zu retten sei. Konkrete Maßnahmen in Gestalt von Abschiebungen, Notstandsgesetzgebungen an der mexikanischen Grenze, der Abschaffung des dritten Geschlechtseintrags, der Streichung von Diversitätsprogrammen und weitreichenden Eingriffen in die Wissenschaftsfreiheit folgten auf dem Fuße.
Die Manipulation von Wissensgenese und -verbreitung, die Abwicklung unliebsamer Forschung in den Bereichen Klima, Gesundheit und Diversität und politische Eingriffe in die Leitung und Ausrichtung von Kulturinstitutionen sind Zeugnisse einer neuen Kontrolle von Bildung, Kultur und Wissenschaft. Quellen und Analysen, die das Verbrechen der Sklaverei und die Geschichte des Rassismus bezeugen, verschwinden in manchen Bundesstaaten bereits aus dem schulischen Kanon und öffentlichen Bibliotheken. Parallel zeigt die Missachtung gerichtlicher Interventionen gegen diese Maßnahmen, dass sich die neue Regierung dem Prinzip der Gewaltenteilung und des Minderheitenschutzes nicht mehr verpflichtet sieht.
Mit Hannah Arendt gesprochen erleben wir den Versuch einer Revitalisierung der organisierten Lüge mit der ihr eigenen Kraft der Entwirklichung. Hier werden unliebsame Sachverhalte, Fakten und wissenschaftliche Erkenntnisse nicht mehr ‚nur‘ mit Meinungen geflutet, sondern es werden zunehmend auch die Tatsachen selbst manipuliert und Zeugnisse vernichtet.
Forciert wird diese Entwicklung durch die neue Verschwisterung der Tech-Größen im Silicon Valley mit Trump & Co, die auf allen Bildern der Inaugurationsfeier zu sehen ist – mit den Spitzen von Meta, Google, X und Amazon in der ersten Reihe. So erwies es sich als äußerst praktisch für Trump & Co, dass der zwischenzeitlich bei Facebook und Instagram eingeführte Faktencheck zur Eindämmung von Fake News und Verschwörungserzählungen unmittelbar nach der Amtseinführung Geschichte war. Oder dass Trumps Verfügung, den Golf von Mexiko in Golf von Amerika umzubenennen, umgehend (und rechtswidrig) von Google umgesetzt wurde – zumindest in den USA. Der Fragmentierung der Öffentlichkeit in der digitalen Ökonomie korrespondiert, wie die großen Plattform-Oligopole zeigen, die Konzentration von Macht in den Händen einer Handvoll superreicher Privatunternehmer, die im Zeitalter der Digitalisierung Schlüssel der Entwirklichung sind – zumal wenn sie zu Komplizen faschistoider Regierungen werden.
Ausblick: Was tun?
Eine Antwort auf diese Frage liegt auf der Hand: Kommunikations- und Informationsinfrastrukturen gehören in öffentliche Hand, unter demokratische Kontrolle und dürfen nicht den Prioritäten und Profitinteressen weniger Multimilliardäre ausgeliefert sein. Schwieriger wird es bei der Frage, warum die populistische, illiberale Demokratie mit ihren stärker werdenden faschistischen Tendenzen für so viele – erschreckend viele – Menschen attraktiv ist.
Dass liberale Kräfte gegen den Populismus das Hohelied der Wahrheit in der liberalen Demokratie singen, verschleiert, dass liberale Eliten ihrerseits einen problematischen Umgang mit Tatsachen pflegten. Über Jahrzehnte wurden Sachverhalte zu unabänderlichen Sachzwängen erklärt sowie eine radikale Politik des Marktes und der Austerität – mit ihren gravierenden sozialen Folgen – als alternativlos propagiert. Hannah Arendt (2013, 85) hat betont, dass sich politisches Denken und Urteilen zwischen zwei Gefahren bewegt, „der Gefahr Tatsächliches für notwendig und daher für unabänderbar zu halten“ (liberale Alternativlosigkeit) und „der anderen, es zu leugnen und zu versuchen, es aus der Welt zu lügen“ (Trump & Co).
Um die aktuelle Gemengelage zu verstehen, ist es wichtig, einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Gefahren herzustellen und zu sehen, dass die liberale Post-Politik der Alternativlosigkeit zumindest mitverantwortlich für das Erstarken der Rechten und der ihr eigenen ‚Elitenkritik‘ ist; denn es ist zutreffend, „dass die da oben lügen“ (um die gängige Formulierung zu verwenden), wenn sie behaupten, es gäbe keine Alternative. Es ist fatal, wenn die unabdingbare Abgrenzung nach rechts den Blick auf die Funktionsdefizite der liberalen Demokratie und Ökonomie verstellt, deren uneingelöste Versprechen, technokratische Tendenzen und sozio-ökonomische Verwerfungen uns dahin gebracht haben, wo wir heute stehen. Noch fataler ist es, wenn angesichts der rechten Bedrohung ein Ende des Streits unter Demokrat:innen gefordert wird. Tatsache ist aber: Demokratische Öffentlichkeit lebt vom politischen Streit, auch wenn die Frage, wie eine antifaschistische Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik aussehen kann, alle Demokrat:innen umtreiben sollte.
Literatur
Arendt, Hannah 2013: Wahrheit und Politik. In: Dies.: Wahrheit und Lüge in der Politik. München u.a., S. 44–92.
van Dyk, Silke 2021: Die Krise der Faktizität und die Zukunft der Demokratie. Strukturwandel der Öffentlichkeit in Zeiten von Fake News, Technokratie und Wahrheitskritik. In: Seeliger, Martin/Sevignani, Sebastian (Hg.): Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit? Sonderband Leviathan 37, S. 68–90.
Foucault, Michel 2010: Die Regierung des Selbst und der anderen II. Der Mut zur Wahrheit. Frankfurt/M.
Frankfurt, Harry G. 2014: Bullshit. Berlin.
Müller, Jan-Werner 2017: Fake Volk? Über Wahrheit und Lüge im populistischen Sinne. In: Kursbuch 189, S. 113–128.
Nietzsche, Friedrich 1988: Kritische Studienausgabe,
Band 1, hg. von Colli, Giorgio/Montinari, Mazzino. Berlin/New York.
Schmitt, Carl 1991 [1923]: Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus. Berlin.