Die Moralisierung politischer Diskurse ist Gift für die Demokratie
Unsere Diskurskultur muss auf Vordermann gebracht werden, wenn Demokratie nicht misslingen soll. Diskursversagen wird ausgelöst, wenn der freie Gedankenaustausch zwischen den politischen Lagern unterbunden wird. Dies ist dort der Fall, wo das jeweilige Gegenüber im Schema von ‚gut‘ und ‚böse‘ als unmoralisch gebrandmarkt und aus dem Diskurs ausgeschlossen wird. Politische Gegner sind nicht auszugrenzen, niederzukämpen und mundtot zu machen. Vielmehr gilt es, sie konstruktiv wahr- und ernstzunehmen: als demokratische Prozesspartner im gemeinsamen Ringen um die besten Lösungen
für gemeinsame Probleme.
Demokratie beruht auf der normativen Idee zur Legitimierung politischer Herrschaft, dass Staatsgeschäfte nicht primär den Privatinteressen der politischen und bürokratischen Geschäftsführer dienen sollen, sondern vielmehr den Gemeinwohlinteressen ihres Auftraggebers, des Volkssouveräns. Diese Gemeinwohlinteressen der Gesamtbevölkerung eines Staates lassen sich als moralische Anliegen beschreiben. Es geht um Frieden, Wohlstand und Menschenwürde: um innere und äußere Sicherheit, um Rechtssicherheit und soziale Sicherheit, um Rahmenbedingungen für funktionierende Märkte, um die dauerhafte Sicherung lebensdienlicher Verhältnisse in sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Hinsicht. Insofern sind Politik und Moral aufs Engste verknüpft. Und das ist auch gut so. Die im Titel aufgeworfene Problematisierung eines morali(stis)chen Einflusses auf Politik wird erst dann verständlich, wenn man weitere Differenzierungen berücksichtigt. Ich entwickle das Argument in vier Schritten.
(Selbst-)Aufklärung und (Selbst-)Steuerung
in der Demokratie
Analysiert man Demokratie als ein Prinzipal-Agent-Verhältnis zwischen Beherrschten und Herrschern, so lassen sich zwei Facetten unterscheiden. Damit Demokratie funktioniert, müssen die Prinzipale wissen, was sie wollen, und sie müssen in der Lage sein, dieses Wollen für die Agenten verbindlich zu machen. Damit sind zwei Erfolgsbedingungen identifiziert, die man als (Selbst-)Aufklärung und (Selbst-)Steuerung beschreiben kann.
Das Problem demokratischer (Selbst-)Steuerung wird gelöst, indem eine politische Arena eingerichtet wird, die so konstitu(tionalis)iert ist, dass die Agenten immer wieder neu um die Zustimmung der Prinzipale konkurrieren müssen. Ihre Herrschaft ist zeitlich und inhaltlich durch die Vorgaben einer parlamentarischen Verfassung (mit politisch unabhängigen Verwaltungs- und Verfassungsgerichten) eng limitiert. Die Logik lautet: Wer die Erwartungen der Prinzipale nicht erfüllt, wird abgewählt. Demokratische Wahlen sind insofern ein per Verfassung verankerter Fehlerkorrekturmechanismus.
Das Problem demokratischer (Selbst-)Aufklärung wird gelöst, indem eine Arena öffentlicher Diskurse eingerichtet wird, die so konstitu(tionalis)iert ist, dass gleichberechtigt ausnahmslos jeder zu Wort kommen darf, um…
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