Die stille Macht der Algorithmen
Algorithmen prägen unser alltägliches Leben. Sie sortieren Nachrichtenfeeds, personalisieren Werbeauftritte, steuern unsere Verkehrsflüsse und Infrastrukturen und entscheiden über Kredite oder in der medizinischen und Gewaltprävention. Längst spielen sie auch in der öffentlichen Meinungsbildung eine gewichtige Rolle. Dennoch bleiben sie für die meisten eine Black Box, deren Resultate schwer einzuschätzen sind. Die Frage ist nicht, ob Algorithmen unsere Welt mitgestalten, sondern wie dies erfolgt.
Das Wort Algorithmus geht ursprünglich auf den Namen des persischen Mathematikers Al-Charizmi (latinisiert zu Algoritmi) im 9. Jahrhundert zurück. Jedoch hat das öffentliche Reden über Algorithmen erst in den letzten fünfzehn Jahren an Bedeutung gewonnen. Im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS) der Berlin-Brandenburgischen-Akademie der Wissenschaften schießt die Begriffsverwendung in Zeitungen ab dem Jahr 2010 nach oben. Dort liest man, ein Algorithmus sei ein „System von Regeln zur schrittweisen Umformung von Zeichenreihen, Anweisung zur formalen Verarbeitung von Informationen“. Es handelt sich allgemein also um eine definierte Handlungsvorgabe zur Lösung eines Problems.
Mit den digitalen Technologien und dem Fortschritt der Künstlichen Intelligenz (KI) bzw. des maschinellen Lernens, zuletzt breit bekannt geworden mit der Generativen KI Chat-GPT/OpenAI, haben sich Algorithmen zu einem universellen Steuerungsprinzip entwickelt. Hochleistungsfähige Computer erlauben eine enorme Verfeinerung und Vervielfachung algorithmischer Prozesse. Algorithmen strukturieren, analysieren, filtern, berechnen, priorisieren und prognostizieren große Datenbestände in einem Tempo und in mathematischer und stochastischer Komplexität, die humanes kognitives Vermögen in jeder Hinsicht übersteigen. Die immer lernfähiger programmierten Algorithmen ermöglichen es, ihre eigenen Auswertungs- und Entscheidungsprozesse fortlaufend zu verbessern, ohne dass es immer weiterer Vorgaben bedürfte, geschweige denn es Menschen überhaupt noch möglich wäre, mit ihren physisch limitierten Kapazitäten bei diesem Schritttempo mitzuhalten.
Algorithmen als soziale Strukturgröße
Die Diskussion über algorithmische Abläufe führt bisweilen leicht zu einem etwas technokratischen Verständnis. Algorithmen erscheinen dann als technische Systeme, mit denen objektiv geschaffene Optimierungen in Arbeits- und Kommunikationsabläufen erreicht werden. Tatsächlich sind derart einflussreiche technische Mittel bzw. Artefakte aber stets in soziale Kontexte eingebettet. Es kommt zu Wechselwirkungen mit anderen Akteuren, mit organisatorischen Entscheidungs- und Steuerungsabläufen. Die personellen Interaktionen werden durch technische Mittel mitformatiert, verändert, in bestimmte Richtungen gelenkt. Algorithmen sind somit nicht bloße „Produkte“ gesellschaftlichen Fortschritts, der Technologie, Innovationskraft und Wirtschaftlichkeit, sie…