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Der Autor

Prof. Dr. Martin Emmer lehrt Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin und leitet die dortige Arbeitsstelle Mediennutzung. Er war Gründungsdirektor des Weizenbaum-Instituts in Berlin und leitet dort das Weizenbaum Digital Science Center.

Mediennutzung

Die unterschätzte Grundlage von Demokratie

Teile der Bevölkerung wenden sich von traditionellen journalistischen Medien ab, seit einigen Jahren ist daher von einer „Vertrauenskrise der Medien“ die Rede. Datenerhebungen zeigen allerdings keinen systematischen oder starken Rückgang des Vertrauens der Menschen in Deutschland in ihre Medien. Herausfordernd bleibt, die Kompetenzen zu stärken, die ­­substanzielle mediale Teilhabe ermöglichen. Das meint nicht nur klassische „Medienkompetenzen“, sondern auch bürgerschaftliche Kompetenzen, die die Menschen grundsätzlich befähigen, ihre Lebenswelt mit digitalen Medien mitzugestalten und auf gesellschaftliche und politische Prozesse Einfluss zu nehmen.


Medien und eine gut funktionierende politische Öffentlichkeit sind unterschätzte Existenzbedingungen von Demokratie. In den aktuellen Debatten darüber, wie unsere Demokratie gegen Angriffe von innen und außen geschützt werden kann, stehen häufig politische Institutionen im Mittelpunkt, etwa die Zusammensetzung des Bundesverfassungsgerichts, die Sicherheit von Wahlen oder die Möglichkeit von Parteienverboten. Die Bedeutung von informierten und demokratisch orientierten Bürgerinnen und Bürgern für das Funktionieren von Demokratie wird dabei häufig übersehen. Im Gegenteil entsteht oft der Eindruck, die Menschen seien ein unkontrollierbares Risiko für die Demokratie: als Opfer von radikaler Propaganda, mit von Sozialen Medien verrohten Umgangsformen, unzureichender Medienkompetenz und exzessiver, suchtähnlicher Internetnutzung.

Dabei tragen Bürgerinnen und Bürger als „Souverän“ die letztendliche Verantwortung für die Ergebnisse demokratischer Prozesse. Sie müssen über die Probleme und Themen, die sie betreffen, informiert sein, um sich eine Meinung bilden und in einem gesellschaftlichen Diskurs zu deren Klärung beitragen zu können. Basis dafür ist die Nutzung eines qualitativ hochwertigen, vielfältigen Medienangebots. Soweit das Ideal, das beispielsweise Jürgen Habermas in seinen Beiträgen zur Diskursethik und Öffentlichkeitstheorie entwickelt hat. Dieses Ideal trifft aber auf eine Realität, die diesen Prinzipien nur unvollkommen entspricht – Desinformation, Vertrauensverlust oder Hassrede im Internet sind nur einige der Probleme, die aktuell den öffentlichen Diskurs über Medien dominieren. Fundiertes Wissen darüber, wie die Menschen in Deutschland mit ihrer großen medialen Freiheit und der damit verbundenen Verantwortung umgehen, ist deshalb ganz entscheidend für die Beantwortung der Frage, ob und wie unsere pluralistische Demokratie weiterhin funktionieren kann.


Digitalisierung als zentrale Herausforderung der Mediennutzungsforschung

Eine der größten Herausforderungen im Forschungsfeld Medien und Öffentlichkeit ist die Digitalisierung, weil sie die technischen Grenzen zwischen Medien auflöst. Mit den sogenannten Sozialen Medien verschwimmen etwa die Grenzen zwischen privater und öffentlicher Sphäre, der Journalismus bekommt massive Konkurrenz bei der Verbreitung von Informationen und der Einordnung der täglichen Ereignisse – nicht nur Bürgerinnen und Bürger, sondern auch alle anderen Akteure können heute ihre Botschaften öffentlich verbreiten und um Aufmerksamkeit konkurrieren. Das hat auch Folgen dafür, wie man Mediennutzung heute beschreiben kann. Denn die digitale Medienwelt lässt sich nicht mehr so einfach in klare Medienformen und Inhaltskategorien einordnen.

Während sich noch bis in die 2000er Jahre die Nutzung von „Fernsehen“ sehr eindeutig als Nutzung des Fernsehgeräts und der über Fernsehprogramme ausgestrahlten Inhalte erfassen ließ, sind zum Beispiel Tagesschau-Inhalte heute nicht mehr nur im laufenden Fernsehprogramm, sondern auch als Clips auf YouTube oder Instagram zu sehen. Andererseits können wir fernsehähnlichen Livestreams von YouTube-­Influencern folgen, bei denen nicht mehr auf den ersten Blick klar ist, ob sie Journalisten, Aktivisten, Werbefiguren oder gar ausländische Propaganda-Agenten sind.

Die Menschen können heute eine praktisch unbegrenzte Fülle an sich permanent verändernden Inhalten aus dem Internet nutzen, die Wissenschaft spricht hier von einem „high-choice media environment“. Eine Folge dessen ist, dass die genutzten Medienrepertoires und Medieninhaltsmenüs individuell viel unterschiedlicher sind als noch um die Jahrtausendwende. Dies spiegelt sich in der Debatte um eine gesellschaftliche Fragmentierung. Man befürchtet, dass sich die Gesellschaft, befördert auch durch das individualisierte Angebot im Internet, in immer kleinere Gruppen um immer differenziertere Interessen aufspaltet und es zunehmend schwierig wird, einen Diskurs zu führen, der alle Teile der Gesellschaft integriert. Populär wurde diese Annahme durch die These von den sogenannten „Internet Filter Bubbles“. Eli Pariser zeigte in seinem Buch von 2011 an einzelnen Beispielen, wie stark die Algorithmen von Plattformen wie Google auf unsere Nutzungsdaten zugreifen und für jede Person individuelle Inhaltsmenüs zusammenstellen, die auf Informationen über unsere früheren Online-Aktivitäten basieren. Man muss davon ausgehen, dass die mittlerweile weit verbreiteten KI-Systeme diese vor 15 Jahren beschriebenen Prozesse wesentlich verfeinert und verstärkt haben.

Die empirische Kommunikationsforschung widerspricht allerdings der populären Annahme, dass solche algorithmischen Filterungsprozesse die Menschen in voneinander abgeschottete thematische „Filterblasen“ drängen. Eine große Zahl an Untersuchungen zeigt im Gegenteil, dass eine besonders intensive Nutzung von Social-Media-Plattformen zu einem vielfältigeren Informationsmenü der Menschen führen kann (Dahlgren 2021). Die These von den Filterblasen blickt etwas zu sehr auf die rein technischen Prozesse der Filterung und unterschätzt die Rolle der vielfältigen Netzwerke und Aktivitäten der Menschen, die auch außerhalb sozialer Medien und des Internets liegen und die nach wie vor für inhaltliche Vielfalt sorgen – zumindest solange Menschen sich nicht ganz bewusst dafür entscheiden, sich von dieser Vielfalt abzuwenden. Für diese Menschen bietet das Internet dann allerdings alle Arten von Medien, Foren und Online-Gruppen an, in denen sogenannte „Echokammern“ entstehen: geschlossene Gruppen, in denen sich vorgefasste, oft extremistische Weltsichten nur noch gegenseitig verstärken, ohne dass sie noch von einer widersprechenden Meinung erreicht würden.


Mediennutzung als Form aktiver Beteiligung


Eine weitere dramatische Folge der Digitalisierung der Medien ist die Tatsache, dass das Publikum, dessen Aktivität lange Zeit darauf beschränkt war, journalistisch produzierte Nachrichten- und Medieninhalte zu konsumieren, sich über das Internet und Soziale Medien nun auch selbst direkt an öffentlichen Debatten beteiligen kann. „Nutzt“ man beispielsweise eine Plattform wie Instagram, so gehören dazu neben dem Lesen von Inhalten anderer heute auch Aktivitäten wie das Pflegen eines eigenen Accounts durch Hochladen eigener Beiträge oder das Kommentieren, „Liken“ und „Folgen“ von Inhalten anderer. Der Begriff der Mediennutzung erweitert sich damit radikal, und damit auch die Fülle der Aktivitäten, mit denen man sie beschreiben kann. So können Privatpersonen heute ohne besonderen Einsatz an Kapital oder Technik große Popularität erreichen und zu „öffentlichen“ Personen werden. Dafür müssen sie es nur schaffen, die komplexen Netzwerklogiken der Plattformen und die (mittlerweile stark KI-basierten) Algorithmen, mit denen die Plattformen die Inhaltsströme regulieren, so zu nutzen, dass sich die eigenen Botschaften „viral“ unter den Nutzenden verbreiten. So entstehen Influencer-Karrieren, und die Grenze zwischen privater Kommunikation im kleinen Freundesnetzwerk und Karrieren in einer globalen Öffentlichkeit kann sich auflösen.

Man darf solche Phänomene aber nicht überschätzen. Die jährlichen Untersuchungen des Weizenbaum-Instituts zu digitaler Partizipation zeigen etwa, dass aktives Kommentieren von Beiträgen in Online-Medien oder öffentliches Teilen von Inhalten nur von einer Minderheit von etwa 25 Prozent der Deutschen praktiziert wird. Der Anteil derjenigen, die dies sehr regelmäßig mindestens mehrmals die Woche tun, ist mit zwei bis drei Prozent noch deutlich geringer (Strippel u. a. 2024). Die aktive und kreative Nutzung digitaler Medien beschränkt sich insgesamt eher auf den privaten Bereich. Die mit Abstand am weitesten verbreitete Anwendung in Deutschland ist der Messenger-Dienst WhatsApp, der von fast allen Internetnutzenden in Deutschland zumindest gelegentlich genutzt wird und dessen Stärke eher in der interpersonalen Vernetzung und der Organisation von geschlossenen Gruppen liegt.


Ungleichheiten und Trends in der Mediennutzung

Daten wie diese zeigen, dass mit der Vervielfältigung der Mediennutzungsoptionen auch das Risiko neuer Ungleichheiten verbunden ist. So wurden und werden die traditionellen Medien wie Zeitung, Fernsehen und Radio in fast allen Gesellschaftsschichten mehr oder weniger gleichmäßig genutzt, Unterschiede zwischen Bildungs- oder Einkommensgruppen waren und sind hier eher gering. In der digitalen Medienwelt sind dagegen in vielen Bereichen größere soziale Unterschiede zu beobachten, die man mit dem Begriff des „Digital Divide“ beschreibt. Während man hier früher vor allem den ungleichen Zugang zum Internet und digitalen Medien untersucht hat, steht heute die ungleiche Nutzung von digitalen Medien und Inhalten im Zentrum der Forschung. So werden Internet und Social Media generell, aber auch viele Formen der Online-Beteiligung deutlich intensiver von Menschen mit besseren Bildungsabschlüssen und höherem Einkommen genutzt, als dies bei traditionellen Medien der Fall war und ist. Als Ursachen stehen hier nicht so sehr materielle Restriktionen in der Diskussion, sondern eher fehlende Kompetenzen und Motivation im Umgang mit digitalen Medien. In der Natur der sich äußerst dynamisch entwickelnden digitalen Medien liegt es schließlich, dass sich Mediennutzung auch zwischen Altersgruppen sehr stark unterscheidet.

Hinter solchen Unterschieden verbirgt sich zum Teil ein sogenannter „Lebenszyklus-Effekt“, der natürliche Verhaltensänderungen im Laufe des Lebens beschreibt. So verändern sich etwa Themeninteressen je nach Lebensphase, auch Zeitbudgets für Mediennutzung sind in Phasen hoher familiärer und beruflicher Belastung tendenziell geringer. Stärker wirken aber meist sogenannte „Kohorten-Effekte“, die sich in den populären Generationen-Beschreibungen wiederfinden. Erklärt werden solche Unterschiede vor allem durch die Sozialisation der Menschen unter jeweils unterschiedlichen gesellschaftlichen, politischen und technischen Bedingungen. So wird den mit dem Internet aufgewachsenen „Digital Natives“ ein viel selbstverständlicherer und damit auch intensiverer Umgang mit digitalen Me­dien zugesprochen; aus wissenschaftlicher Sicht verlaufen solche Veränderungen allerdings viel gradueller, als es die hart abgegrenzten Generationen­begriffe nahelegen.

Der Umgang mit Medien ist für praktisch alle Menschen ein zentraler Bestandteil des Alltags: nach den Daten der ARD-ZDF-Medienstudie 2024 verbringen die Deutschen jeden Tag im Durchschnitt etwa sechseinhalb Stunden mit der Nutzung von Medien. Während dieses Zeitbudget für Medien über Jahrzehnte hinweg ständig anstieg, ist es seit ein paar Jahren wieder leicht rückläufig. Unterschiede zwischen den Altersgruppen zeigen sich vor allem bei der Verteilung des Medien-Zeitbudgets auf verschiedene Medien und Nutzungsformen. In allen Langfrist-Beobachtungen lässt sich beispielsweise das Verschwinden der Zeitung aus dem Alltag der Menschen beobachten: je jünger sie sind, desto weniger spielt die Zeitung in den Medienmenüs noch eine Rolle. Zu den Medien mit den größten Nutzungsumfängen gehören nach wie vor das Fernsehen und neue digitale Videoan­gebote, auch hier gibt es sehr große Altersunterschiede. Laut der ARD-ZDF-Medienstudie 2024 entfielen fast 90 Prozent der Fernseh- und Videonutzungszeit der 14- bis 29-Jährigen auf non-lineare Nutzung, also auf den Abruf von Inhalten über Plattformen wie ­YouTube oder Mediatheken zu selbstgewählten Zeitpunkten. Die über 50-Jährigen dagegen verfolgten in über 75 Prozent ihrer Nutzungszeit noch linear ausgestrahlte Programme etwa im klassischen Fernsehen oder Radio. Hier ist das Einschalten der tagesschau um 20 Uhr noch ein etabliertes Nutzungsmuster, bei den Jüngeren gibt es solche medialen Anker in der ­Tagesstruktur kaum noch. Mit diesem Trend geht auch der Besitz von Fernseh- und Radiogeräten in jüngeren Altersgruppen immer weiter zurück.

Für die jüngsten Altersgruppen ist das Smartphone das universelle Mediengerät, über das der Großteil der Mediennutzung abgewickelt wird. Daneben spielt die Vielfalt weiterer digitaler Geräte – Laptops, Tablets und andere – jeweils nur eine begrenzte Rolle. Einig sind sich die Generationen bei den Online-Medien nur in der bereits erwähnten Nutzung von WhatsApp; ansonsten sind in älteren Generationen eher Facebook, in mittleren Instagram und den ganz jungen TikTok die erfahrungsprägenden Plattformen. Aus Sicht der Forschung muss man sich in diesem Bereich auf eine weiterhin große Dynamik einstellen. Niemand kann seriös sagen, welches Medium mit welchen Eigenschaften in ein paar Jahren die Nutzung der nächsten Jahrgänge prägen wird.


Missbrauch von Medien zur Manipulation der Öffentlichkeit

Die große Vielfalt an genutzten Medien und auch die erweiterten Partizipationsmöglichkeiten für Bürgerin­nen und Bürger am öffentlichen Diskurs sind aus Sicht eines pluralistischen Demokratieverständnisses grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings geht damit auch ein Teil gesellschaftlicher Kontrolle über das Informations-Ökosystem verloren. Dass Probleme wie die Verbreitung von „Fake News“, Propaganda oder Hass im Internet heute so drängend sind, ist unter anderem eine Folge davon, dass Informationen nicht mehr allein von professionell ausgebildeten Journalistinnen und Journalisten gesammelt, aufbereitet und über Medienorganisationen verbreitet werden (siehe den Beitrag von Silke van Dyk in diesem Heft). Die Tore zur Öffentlichkeit sind so weit geöffnet, dass nicht nur (legitime) Bürger den Diskurs erweitern und bereichern können, sondern dass auch strategische Akteure auf illegitime Weise massiven Einfluss auf öffentliche Debatten zu nehmen versuchen, etwa über das Angebot sogenannter „alternativer Medien“, hinter denen sich in der Regel extremistische, antidemokratische und Propaganda-Akteure verbergen. Welche Rolle die bewusste Nutzung von solchen Angeboten oder auch die unbewusste Nutzung manipulierter „geklonter“ Webseiten im Informations­menü der Menschen spielt, ist nicht einfach abzuschätzen.

Bei vielen dieser Angebote handelt es sich um temporäre oder geschlossene Gruppen, die von außen kaum beobachtbar sind, in Befragungen können Effekte wie die sogenannte „soziale Erwünschtheit“ und Probleme bei der Repräsentativität der befragten Stichproben zu Unsicherheiten in den Daten führen. Studien, die die Nutzung von Angeboten wie „Epoch Times“, „PI-News“ oder „Tichys Einblick“ ­untersucht haben, konnten je nach eingesetzter Er­hebungsmethode zwischen zwei und siebzehn Prozent der Menschen in Deutschland als Nutzende identifizieren (Klawier 2024). Dieses Phänomen lenkt den Blick auf die Frage, wie sich solche problematischen Formen von Mediennutzung, aber auch Mediennutzung generell, erklären lassen und wie sie mit politischen Einstellungen in Beziehung stehen.

Während man in der öffentlichen Debatte häufig politische Einstellungen als „Wirkung“ von Mediennutzung betrachtet und deshalb in der Verfügbarkeit von extremistischen und manipulativen Angeboten die zentrale Problemursache vermutet, kommt die Mediennutzungs- und -wirkungsforschung zu anderen Befunden. Politische Einstellungen lassen sich in empirischen Studien meist nicht besonders gut mit der Nutzung entsprechender ­Medien erklären. Befunde weisen auf einen umgekehrten Zusammenhang hin: Menschen wenden sich Medien vor dem Hintergrund bestimmter Bedürfnisse und schon existierender Einstellungen zu (im Detail beschrieben in wissenschaftlichen Konzepten wie dem Uses & Gratifications-Ansatz oder der Theorie der kognitiven Dissonanz). Wir fühlen uns besser, wenn die Inhalte der Medien unsere Weltsicht bestätigen, was erklären kann, weshalb Menschen in bestimmten Situationen geneigt sind, selbst sehr unplausible Thesen oder ­offensichtliche „Fake News“ für sich als Wahrheiten zu akzeptieren. Die algorithmische Auswahl von Inhalten, die Social-Media-Plattformen auf Basis der Analyse unserer Nutzungsmuster praktizieren, erleichtert solche problematischen Prozesse heute wesentlich.


Gibt es eine Krise des Medienvertrauens?

Vor dem Hintergrund dieser Abwendung von Teilen der Bevölkerung von traditionellen, journalistischen Medien wird seit einigen Jahren von einer Vertrauenskrise der Medien gesprochen. Tatsächlich werden Medien heute von verschiedenen Seiten attackiert. In Deutschland sind es einerseits aggressive und vor allem in den Sozialen Medien laute rechtsradikale ­Akteure und Verschwörungsanhänger, die das Vertrauen in Medien untergraben, zum anderen versuchen in vielen autoritären Ländern auch Regierungen mit allen Mitteln zu verhindern, dass Bürgerinnen und Bürger Zugang zu unabhängiger und kritischer Berichterstattung haben. Länder wie die Türkei oder aktuell die USA sind Beispiele dafür, wie Lügen- oder Terrorvorwürfe an Medien als Vorwand für eine Unterdrückung unabhängiger Berichterstattung und zur Einschränkung der Meinungsfreiheit missbraucht werden (Reporter ohne Grenzen 2025).

Betrachtet man allerdings die Haltung der Menschen in Deutschland zu ihren Medien, zeigt sich eine bemerkenswerte Resilienz gegenüber solchen zum Teil orchestrierten Angriffen auf Glaubwürdigkeit von und Vertrauen in Medien. Regelmäßige Datenerhebungen (z. B. die „Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen“) zeigen über längere Zeiträume keinen systematischen oder starken Rückgang des Vertrauens der Menschen in Deutschland in ihre Medien. Im Gegenteil nimmt der Anteil der Menschen, die angeben, den Medien bei wichtigen Themen eher oder voll zu vertrauen, im Laufe der Zeit sogar zu. Waren dies 2015 nur 28 Prozent, stieg der Anteil bis 2023 auf 44 Prozent der Menschen.

Natürlich kann man vor diesem Hintergrund einerseits die Frage stellen, ob 44 Prozent nicht trotzdem etwas wenig sind. Man kann das so sehen, allerdings würde sich „blindes Vertrauen“ mit extrem hohen Werten nicht mit einer kritischen Haltung mündiger Bürger vertragen. Auch wenn man Medien zugesteht, dass sie nach bestem Wissen und Gewissen wahrheitsgemäß berichten und keine absichtlichen Lügen verbreiten, fährt man sicher gut mit einer kritisch-aufmerksamen Haltung. Denn auch die besten Medien können in begrenzter Zeit und auf begrenztem Raum nur Ausschnitte aus einer Realität abbilden und auch unbeabsichtigt Fehler machen, weshalb eine eigenständige Bewertung von Medieninhalten – im besten Fall aus unterschied­lichen Quellen – durch die Nutzerinnen und Nutzer grundsätzlich sinnvoll ist. Vertrauen ist außerdem volatil. Aus der Nutzungsforschung weiß man, dass in Zeiten von Krisen der Bedarf nach Informationen und Orientierung besonders groß ist und dann die Mediennutzung deutlich zunimmt – in der letzten Zeit war dies sehr deutlich beobachtbar während der Hochphasen der Corona-Pandemie 2020 sowie zu Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine 2022. Gleichzeitig nimmt auch das Vertrauen in die Medien in solchen Phasen in der Regel zu.

Andererseits gibt es auch in Deutschland Kri­sen­symp­­tome, die man nicht ignorieren kann. So werden öffentlich-rechtliche Medien, die besonders großes Vertrauen in der Bevölkerung genießen und mit Abstand die meistgenutzten Quellen für politische Information bereitstellen, besonders aggressiv attackiert. Im Zuge der aktuellen Reformdiskussion um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geht es unter anderem um die Frage, ob eine mögliche zukünftige Regierungsbeteiligung der AfD in einem Bundesland zu einer Blockade der Finanzierung und damit einer massiven Beschädigung öffentlich-rechtlicher Anstalten führen könnte. Daneben gibt es einen weiteren problematischen Trend: Während der Anteil derer, die den Medien vertrauen, wie oben gezeigt langfristig ansteigt, wird auch die Gruppe am anderen Ende der Skala größer. Eine größer werdende Gruppe vertraut den Medien eher nicht oder gar nicht. Die Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen zeigt, dass deren Anteil von 19 Prozent im Jahr 2015 auf 25 Prozent im Jahr 2023 angestiegen ist. Diese Menschen zählen mutmaßlich zu den intensiveren Nutzern der oben beschriebenen „alternativen Medien“. Auch hier gibt es also Hinweise auf eine langsam zunehmende, auch politisch begründete und von antidemokratischen Akteuren instrumentalisierbare Fragmentierung der Mediennutzung.


Zukunftsaufgabe: Medienkompetenz als bürgerschaftliche Kompetenz

Insgesamt hat Deutschland im internationalen Vergleich ein ausgesprochen vielfältiges, qualitativ hochwertiges und von den Menschen im Land auch wertgeschätztes Mediensystem. Die Menschen verbringen viel Zeit mit dem Umgang mit Medien und nutzen dabei eine große Bandbreite an Kanälen, Angeboten und Inhalten. Allerdings verändert die Digitalisierung das Mediensystem dramatisch und damit auch die Mediennutzung. Digitalisierung entgrenzt die Menge der verfügbaren Inhalte und ermächtigt zur eigenen Beteiligung, etwa durch Content-Erstellung mit intuitiv nutzbaren Tools auf Social-Media-Plattformen und Möglichkeiten der Partizipation an öffentlichen Debatten.

So positiv dieser Zuwachs an inhaltlicher Vielfalt und neuen Beteiligungsmöglichkeiten ist, so groß sind allerdings auch die Herausforderungen, die sich daraus für die Nutzenden und die Gesellschaft ergeben. So zeigt die vergleichsweise große soziale Ungleichheit in der Nutzung digitaler Medien, dass die neuen Partizipationsmöglichkeiten nur für diejenigen wirklich ein Gewinn sind, die diese auch sinnvoll für sich nutzen können; alle anderen werden durch sie weiter marginalisiert.

Daraus ergibt sich eine erste zentrale Aufgabe für die Zukunft: Bildungslaufbahnübergreifend müssen Bürgerinnen und Bürger mit den Kompetenzen ausgestattet werden, die ihnen eine substanzielle mediale Teilhabe ermöglichen. Das meint nicht nur klassische „Medienkompetenzen“, sondern auch bürgerschaftliche Kompetenzen, die die Menschen sehr grundsätzlich befähigen, ihre Lebenswelt mit digitalen Medien mitzugestalten und auf gesellschaftliche und politische Prozesse Einfluss zu nehmen.

Wichtig sind Medienkompetenzen zweitens auch, um Mediennutzende resilient gegen Manipulationsversuche, Propaganda und Hetze im Internet zu machen. Politische Regulierungsansätze, die Nutzerinnen und Nutzer vor solchen Inhalten schützen könnten, sind daneben bisher wenig effektiv. EU-Regelungen wie der Digital Services Act oder die KI-Richtline versuchen über Verpflichtungen von Diens­teanbietern einen Rahmen zu setzen, allerdings gehen die großen US-Plattformen augenblicklich einen anderen Weg und reduzieren ihre Bemühungen zur Moderation von Inhalten weiter. Das politische Umfeld – in den USA und vielen anderen Ländern jenseits der EU – ist augenblicklich wenig regulierungsfreundlich. Beim aktuell dramatisch hohen Innovationstempo im Bereich KI-basierter Inhaltsproduktion und -distribution ist es ohnehin wenig wahrscheinlich, dass langwierige Gesetzgebungsprozesse problematische Entwicklungen rechtzeitig identifizieren und kontrollieren können. Umso wichtiger ist die aufmerksame Begleitung dieser Entwicklungen durch Wissenschaft und kritische Öffentlichkeit und die Befähigung der Menschen, reflektiert mit Medien umzugehen, wie immer sie technisch in Zukunft gestaltet sein mögen.



Literatur

ARD/ZDF-Forschungskommission 2024: ARD-ZDF-Medienstudie 2024. https://www.ard-zdf-medienstudie.de/

Dahlgren, Peter M. 2021: A critical review of filter bubbles and a comparison with selective exposure. In: Nordicom Review, 42 (1), S. 15–33.

Jackob, Nikolaus u. a. 2023: Medienvertrauen in Deutschland. Bonn. https://www.bpb.de/shop/buecher/schriftenreihe/520602/medienvertrauen-in-deutschland/

Klawier, Tilman 2024: How many people use alternative media in Germany and how can we measure it? In: Journal of Quantitative Description: Digital Media, 4, S. 1–26.

Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2024: JIM-Studie 2024: Jugend, Information, Medien. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest. https://mpfs.de/app/uploads/2024/11/JIM_2024_PDF_barrierearm.pdf

Reporter ohne Grenzen 2025: Rangliste der Pressefreiheit. https://www.reporter-ohne-grenzen.de/rangliste/rangliste-2025

Schweiger, Wolfgang 2007: Theorien der Mediennutzung: Eine Einführung. Wiesbaden.

Strippel, Christian/Jokerst, Sofie/Heger, Katharina/Emmer, Martin 2024: Weizenbaum Report 2024, Politische Partizipation in Deutschland. Weizenbaum-Institut.


[Alle Links zuletzt geprüft am 8.7.2025.]