Der Rezensent

Dr. Christian Meyer-Heldmann ist der Landesbeauftragte für politische Bildung in Schleswig-Holstein.

Bücher für den Politikunterricht - POLITIKUM 1/2024


Michael May, Marc Partetzke: Einführung in die Politikdidaktik. Bd. 1: Geschichte, Essentials, Forschungs- und Entwicklungsfelder. Wochenschau Verlag: Frankfurt/M. 2023, 224 Seiten

Braucht es eine weitere Einführung in die Politikdidaktik? Die Autoren Michael May und Marc Partetzke haben diese Frage mit „Ja“ beantwortet und den ersten Band ihrer Einführung vorgelegt. Sie richtet sich an Lehramtsstudierende, Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst sowie Seiteneinsteiger*innen und legt einen klaren Fokus auf den Schulunterricht der politischen Bildung. Zu Beginn findet sich zwar der Hinweis, dass die Ausführungen selbstverständlich auch für die außerschulische politische Bildung relevant seien, aber wie so oft bleibt diese Übertragbarkeit im weiteren Verlauf allenfalls vage – das Buch hat also einen klaren Schulbezug. Die Autoren wollen eine Lücke zwischen eher politikwissenschaftlich geprägten Einführungen zur Politikdidaktik (u. a. Massing 2021) und dezidiert unterrichtsbezogenen Einführungen (u. a. Reinhardt 2018) schließen. Dabei formulieren sie den Anspruch, „dass wir weniger eine eigene Lesart politischer Bildung entwickeln, sondern stattdessen unterschiedliche Arbeitsfelder und darin deutlich werdende Strömungen der Politikdidaktik kenntlich machen“ (S. 11). 

Dieser Anspruch der eigenen Zurückhaltung gibt Einsteiger*innen in die Politikdidaktik einen breiten, multiperspektivischen Überblick über Entwicklungen und Kontroversen. Hilfreich für Lehramtsstudierende dürften zudem die in Kapitel 2.2 vorgenommene Erläuterung des Theorie-Praxis-Problems und der Anstoß zur Selbstreflexion des eigenen Lehramtsstudiums sein. Nicht nur, dass Lehramtsstudierende eine vermeintliche „Berufserfahrung“ aus zwölf oder mehr Jahren Schulunterricht mitzubringen meinen, auch der in den Universitäten oftmals zu hörende Ruf nach „Praxisnähe“ und „Anwendbarkeit“ wird problematisiert und politikdidaktisch eingeordnet. Als Lehrbuch, das in seinem adressatenorientierten Duktus die Studierenden immer wieder direkt anspricht, trägt das Werk dazu bei, mit realistischen Erwartungen in das Studium zu starten. Die – notwendigerweise schlaglichtartige – historische Entwicklung der politischen Bildung (Kap. 3) orientiert sich für die Bundesrepublik nach 1945 an detaillierteren Darstellungen u. a. von Gagel (2005), Detjen (2013), Sander (2003) und fügt diesen wenig Neues hinzu. Umso wichtiger ist es, dass auch die Entwicklungen in der DDR und vor allem in der Transformationsphase in Ostdeutschland nach der Friedlichen Revolution von 1989 nachgezeichnet werden, ehe die Trends der schulischen politischen Bildung der letzten 30 Jahre in den Blick genommen werden. Mit den „Essentials“ der Politikdidaktik und politischen Bildung (Kap. 4) geben die Autoren jeweils einen knappen Überblick über wichtige Grundlagen, Grundbegriffe und relevante Kontroversen, wie sie für ein Einführungsbuch zentral sind. Zu den Arbeits- und Forschungsfeldern der Politikdidaktik (Kap. 5) erfolgt zunächst eine – wiederum knappe – Darstellung zu Bildung und (politischem) Lernen. 

Es folgt die Vorstellung klassischer „Konzeptionen“ (Wilhelm, Fischer, Giesecke, Hilligen, Sutor, Schmiederer). Mit der empirischen Erforschung der Unterrichtswirklichkeit legen die Autoren einen wichtigen Schwerpunkt, der Studierenden die Politikdidaktik als Wissenschaft eröffnet. Sie informieren darin über die verschiedenen Forschungszugänge und -methoden, machen also gleichsam transparent, wie politikdidaktische Erkenntnisse, die in der Lehrkräftebildung vermittelt werden, eigentlich ihrerseits gewonnen wurden. Dass als aktuelle Entwicklungsfelder des Unterrichts (Kap. 6) vor allem Digitalisierung und Inklusion als zwei „Megatrends“ (S. 171  ff.) behandelt werden, zeigt die hohe Relevanz des Buches für angehende Lehrkräfte. Aber was ist eigentlich mit dem gesellschaftlichen „Megatrend“ der Demokratiefeindlichkeit, der sich in den letzten Jahren in polarisierten Diskursen, rechtspopulistischen bzw. -extremistischen Einstellungen, Äußerungen und Wahlverhalten, einer Verächtlichmachung von Demokratie, Rechtsstaat und Minderheitenschutz bis hin zu einer Verrohung der Gesellschaft insgesamt zeigt? Dieser Megatrend dürfte in den nächsten Jahren die weitaus größte Herausforderung für angehende Politiklehrkräfte bilden. Die eingangs von den Autoren selbst auferlegte Zurückhaltung zeigt sich hier als Schwachpunkt, denn die normative Verortung der Politikdidaktik erfolgt in dieser Einführung weitestgehend implizit. Sie sollte Studierenden – auch angesichts der Diskussionen um eine vermeintliche Neu­tralität der politischen Bildung – bereits in einer Einführung als klarer Orientierungspunkt ausführlich mit auf den Weg gegeben werden. Insgesamt dennoch: Eine lesenswerte Einführung!
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