Die Autoren

Dr.-Ing. Alexander Rammert ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet für Integrierte Verkehrsplanung der TU Berlin.

Dr. Oliver Schwedes war von 2014 bis 2023 Gastprofessor für Verkehrs­planung und -politik an der TU Berlin. https://oliver-schwedes.de

Barrieren für die Verkehrswende

Hintergründe und Lösungsansätze


Die Städte und Gemeinden in Deutschland werden immer öfter von Bürger*innen aufgefordert, die kommunalen Verkehrsverhältnisse im Sinne einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung neu zu gestalten. Zwar unterscheiden sich die spezifischen Anforderungen vor Ort zum Teil stark, dennoch sehen sich die Kommunen bei der Umsetzung verkehrsplanerischer Maßnahmen immer wieder mit den gleichen Barrieren konfrontiert.

Der Verkehrssektor befindet sich mitten in einem tiefgreifenden Wandlungsprozess, in dem die Städte und Gemeinden lernen müssen, den Wandel unter Einbeziehung ihrer Bürger*innen aktiv zu gestalten. Ihre Aufgabe besteht darin, im Spannungsfeld zwischen den bestehenden Strukturen und Verhältnissen einerseits und den neuen Herausforderungen andererseits so klug zu agieren, dass sie den Reformprozess im Sinne des Gemeinwohls gestalten können. Um in dieser unübersichtlichen Situation handlungsfähig zu werden, ist es wichtig, die Barrieren zu kennen, die der Verkehrswende immer noch im Wege stehen. Dazu zählen technokratische Werte und Normen, an denen die Fachplaner*innen ihr Handeln ausrichten, eine Planungskultur, die die Gesellschaft ausschließt, und segmentierte Organisationsstrukturen, die einer effektiven Verkehrsplanung entgegenstehen.

Normative Barrieren

Eine Grundvoraussetzung für erfolgreiche Planung ist die Zielorientierung. So fordern zeitgenössische Planungsleitfäden eine klare Zielorientierung der Planung. Stimmen Theorie und Praxis der Verkehrsplanung noch überein, entstehen spätestens bei der Diskussion darüber, welches denn die zu erreichenden Zielkriterien sind, handfeste Konflikte. Diese Konflikte gehen so weit, dass nicht nur über die zu priorisierenden Leitbilder gestritten wird (‚Umwelt‘ vs. ,Wirtschaft‘), sondern prinzipiell in Frage gestellt wird, ob einige der Ziele überhaupt normativ definiert werden dürfen. Damit nähern wir uns einer tiefgreifenden Barriere, die insbesondere die deutsche Verkehrsplanung kennzeichnet und bis heute viele progressive Verkehrskonzepte lähmt.
Kern dieser Barriere ist die kontrovers diskutierte Frage, welche Zielansprüche der Verkehrsplanung normativ-politisch ermittelt werden müssen. Eine Alternative dazu ist die vermeintlich eindeutige Definition durch Expertinnen und Experten, die festlegen, was die zu erreichenden Zielkriterien sind. Dies wird am Beispiel der Fußgängerampel deutlich. Wer entscheidet, wie lange Fußgängerinnen an einer Kreuzung vor einer roten Ampel warten müssen? Die Politik, die Verkehrswissenschaft oder gar die Fußgängerinnen selbst? Diese prinzipielle Frage wird für die meisten verkehrsplanerischen Probleme in Deutschland wie Tempolimits, Kapazitätsbemessungen oder Verkehrsraumaufteilung in technokratischer Weise beantwortet: Regelwerke und Richtlinien legen am Ende fest, wie lange der Fußgänger an der Ampel steht, wieviel Platz ein Auto bei 30 km/h braucht oder wie eine Kreuzung dimensioniert sein muss. Betrachten wir daraufhin, wie diese Regelwerke und Richtlinien entstanden sind, wird deutlich, dass sie erstens innerhalb eines wissenschaftlichen Expertenkreises und zweitens nicht transparent nachvollziehbar konzeptioniert wurden. Das heißt, dass es beispielsweise keine Möglichkeit für Bürgerinnen und Bürger gibt, partizipativ an diesen Kriterien mitzuwirken oder die Verantwortlichen demokratisch zu wählen. Damit entziehen sich die verkehrsplanerischen Regelwerke in Deutschland der gesellschaftlichen Mitbestimmung (Becker/Schwedes 2020). Es entsteht eine Diskrepanz zwischen normativen Anspruch und planungspraktischer Umsetzung.
Die normativen Barrieren bestehen also nicht in der Konkurrenz unterschiedlicher politischer Ideen, sondern darin, dass verkehrliche Zielansprüche als ‚normfrei‘ bzw. physikalisch gegeben deklariert werden. Dass verschiedene Akteure unterschiedliche Leitbilder verfolgen und eigene Prioritäten setzen, ist normal und Kennzeichen einer funktionierenden Demokratie. Problematisch wird es dann, wenn Akteuren die Möglichkeit abgesprochen wird, normativ auf ein Planungsfeld einzuwirken. Die Entscheidungen der Verkehrsplanenden verändern die menschliche und naturräumliche Umwelt zum Teil für Jahrzehnte. Deswegen ist es insbesondere bei der Verkehrsplanung von essenzieller Bedeutung, Möglichkeiten zu schaffen, damit aktuelle normative Ansprüche berücksichtigt werden können. Die Integrierte Verkehrsplanung fordert daher, Normen und Richtlinien in die fachliche Beurteilung transparent und nachvollziehbar einzubeziehen. Nur so ist es überhaupt für politische und zivilgesellschaftliche Akteure möglich, aktiv an der Verkehrsplanung teilzunehmen. Solange sich Richtlinien und Regelwerke bei der Bestimmung schützenswerter Güter im Verkehrssystem nicht stärker an den Bedarfen der betroffenen Menschen orientieren und sie für diese nicht nachvollziehbar machen, wird es immer wieder zu Konflikten kommen, an denen die technokratischen Zielkriterien auf die normativen Ansprüche vor Ort treffen.
Um diese Barriere zu überwinden, müssen alle verkehrsbezogenen Richtlinien und Regelwerke in Deutschland normativ reflektiert werden. Das bedeutet, dass alle Ansprüche daraufhin überprüft werden müssen, inwiefern sie gesellschaftlich legitimiert und normativ zustimmungsfähig sind. Für die Festlegung eines Asphaltmischverhältnisses beim Straßenbau sind z. B. keine normativen Kriterien zu berücksichtigen. Dementsprechend eignen sich an dieser Stelle auch Expertengremien für die Festlegung von Zielkriterien, solange die Entscheidungsfindung transparent nachvollziehbar bleibt. Geht es hingegen um die Frage, an welchen Stellen ein Zebrastreifen die geeignete Maßnahme ist oder wie viele PKW-Stellplätze eine Wohneinheit braucht, dann genügt es nicht, ausschließlich Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft über die relevanten Kriterien entscheiden zu lassen. Vielmehr müssen hier die verschiedenen Akteursgruppen aus der Zivilgesellschaft, die ja maßgeblich von den Effekten dieser Maßnahmen betroffen sind, darüber mitentscheiden, was die geeigneten Zielkriterien sind. Dies gilt für alle verkehrsbezogenen Regelwerke, die aktiv in die Ausgestaltung der Lebenswirklichkeit der Menschen eingreifen. Nicht die Wissenschaft, sondern die Gesellschaft muss entscheiden, wie Verkehrsflächen in der Stadt aufzuteilen sind oder welche schützenswerten Güter gesetzlich verankert werden müssen.

Kulturelle Barrieren

In der Verkehrsplanung vollzieht sich aktuell ein Paradigmenwechsel zu einer nachhaltigen Mobilitätsplanung (Schwedes/Hoor 2019). War die Verkehrsplanung bisher auf die Anforderungen des Verkehrssystems fokussiert, erweitert die Integrierte Verkehrsplanung jetzt die Perspektive und nimmt die Bedarfe der Menschen stärker in den Blick. Das wird zum einen damit begründet, dass die Menschen ihr Mobilitätsverhalten im Sinne einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung ändern müssen und die Verkehrsplanung die Aufgabe hat, sie darin zu unterstützen. Darüber hinaus wird die Hinwendung der Verkehrsplanung zu den Bürgerinnen und Bürgern mit der wachsenden Eigensinnigkeit der Menschen in demokratischen Gesellschaften begründet. Die Verkehrsplanung sieht sich daher zunehmend mit der Herausforderung konfrontiert, die Menschen im Rahmen von Planungsprozessen zu beteiligen. Dies bringt die Anforderungen einer nachhaltigen Mobilitätsplanung ins Spiel, zugleich besteht aber eine alte Planungskultur fort, die den Wandel bisher behindert.
Dies drückt sich insbesondere in der hierarchisch organisierten und zentralistisch strukturierten Verwaltung aus, deren traditionelles Selbstverständnis darin besteht, als unbestechliches Werkzeug einer legitimen Regierung zu fungieren und sich von zivilgesellschaftlichem Einfluss möglichst frei zu halten. Dabei handelt es sich um das Ergebnis einer deutschen Staatsrechtstradition, die bis heute geprägt ist durch die Trennung von Staat und Staatsrecht (Verfassungsrecht) einerseits und der Gesellschaft andererseits (Möllers 2008). Demnach erfasst der Staat das Gemeinwohl mit einem distanzierten Blick auf die Gesellschaft und erbringt dafür die entsprechenden Leistungen im Rahmen der sogenannten Daseinsvorsorge für alle Gesellschaftsmitglieder gleichermaßen. Dabei agiert er souverän gegenüber der Gesellschaft, die ihm nicht reinreden darf – vorausgesetzt wurde ein autoritärer Staat. Damit verband sich zugleich die Vorstellung der ‚Eigenständigkeit‘ der Verwaltung, die sich weitgehend unabhängig von gesellschaftlicher Einflussnahme allein an verwaltungsrechtlichen und ingenieurfachlichen Gesichtspunkten orientiert (Seibel 2017). Im Ergebnis führte die Trennung von Staat und Gesellschaft zu einem bis heute spürbaren strukturellen Demokratiedefizit, wobei sich die deutsche Verwaltung durch eine im europäischen Ländervergleich besonders ausgeprägte Intransparenz auszeichnet.
Mit Blick auf eine Integrierte Verkehrsplanung kommt noch erschwerend die für traditionelle Verwaltungen typische Arbeitsteilung entlang von streng definierten Zuständigkeiten hinzu, die zu einer internen Segmentierung führt (Derlien u. a. 2011, 202 ff.). Beim Personal resultiert daraus zumeist ein Habitus der Überidentifikation mit Teilaufgaben. Demgegenüber ist die Integrierte Verkehrsplanung auf eine Ämter und Ressorts übergreifende Zusammenarbeit angewiesen, da das Querschnittsthema Verkehr eine Vielzahl anderer Themenfelder berührt und von diesen beeinflusst wird. Deshalb müssen zum einen Stadtentwicklung, Umwelt, Gesundheit und Soziales zukünftig unter Berücksichtigung der spezifischen Folgen ihres Handelns für die Verkehrsentwicklung betrachtet und in enger Abstimmung miteinander gemeinsame Handlungsstrategien entwickelt werden. Zum anderen müssen aber auch die Zuständigkeiten innerhalb der Verkehrsverwaltung neu definiert und in einer Kooperationskultur stärker aufeinander bezogen werden. Anstatt einen Straßenraum wie bisher aus Sicht des öffentlichen Verkehrs oder des Rad- oder Fußverkehrs zu planen, muss sich eine integrierte Betrachtungsweise etablieren. Es bedarf einer neuen übergreifenden Kultur der Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung.
Neben der Verwaltungskultur, aber auch eng mit ihr verknüpft, steht einer Integrierten Verkehrsplanung ein problematisches Selbstverständnis der Verkehrsplaner*innen entgegen. Diese neigen oft dazu, sich mit ihrem besonderen, fachlich erworbenen Expertenwissen von den laienhaften Überlegungen der Bürgerinnen und Bürger abzugrenzen. In diesem ‚Gott-Vater-Modell‘ besitzen Ver­kehrs­planer*innen einen privilegierten Zugang zur einzig richtigen Lösung verkehrlicher Probleme, die vor allem als technische Herausforderungen begriffen werden. Demgegenüber geht die Integrierte Verkehrsplanung von einem Planungsverständnis aus, das soziale Anforderungen zum Gegenstand hat, auf die es nicht eine einzig richtige Antwort gibt, sondern nur mehr oder weniger gute Lösungen. Ob die Umwidmung von Parkständen für Pkw in Stellplätze für Fahrräder als eine gute verkehrsplanerische Maßnahme betrachtet wird, hängt von der Bewertung verschiedener Bevölkerungsgruppen ab, die hier zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen. Entgegen der Vorstellung eines exklusiven Expertenwissens, das andere Menschen mit ihren spezifischen Wissensbeständen frühzeitig ausschließt und sich gegebenenfalls gegenüber Einwänden mit dem Hinweis auf den eignen Wissensvorsprung verteidigt, sieht die Integrierte Verkehrsplanung ihre Aufgabe darin, Planungs- und Entscheidungsprozesse für die Betroffenen offen zu halten und ihre spezifischen Sichtweisen mit einzubeziehen. Damit die Integrierte Verkehrsplanung die herrschende Expertokratie durch eine deliberative Planungskultur im Sinne einer nachhaltigen Mobilitätsplanung ersetzen kann, ist sie auf entsprechende Rahmenbedingungen, neue Methoden und Verfahren und eine veränderte Ausbildung der Verkehrsplaner an den Hochschulen angewiesen (Münkler 2020).
Um die genannten kulturellen Barrieren einer Integrierten Verkehrsplanung zu überwinden und das angestrebte neue Paradigma der nachhaltigen Mobilitätsplanung zu unterstützen, muss zum einen die Kultur der Zuständigkeiten einer fachlichen Integration der Verwaltungen weichen, damit kollaborative Verfahren der Zusammenarbeit über die bestehenden Ämter- und Ressortgrenzen hinweg möglich werden. Darüber hinaus müssten die von der Disziplin der Bauingenieure getragene elitäre Planungskultur wie auch die damit verbundene bornierte Baukultur durch ein egalitäres Selbstverständnis und eine interdisziplinäre Vielfalt ersetzt werden. Die universitäre Ausbildung ist entsprechend neu aufzustellen. Hinderlich ist jedenfalls, dass die beiden Studiengänge Stadt- und Verkehrsplanung zumeist in unterschiedlichen Fakultäten untergebracht sind und es dem individuellen Engagement der Studierenden überlassen wird, sich fachlich zu begegnen; um nur ein Beispiel zu nennen, das einer Integrierten Verkehrsplanung entgegensteht.

Strukturelle Barrieren

Eine zukünftige Verkehrsplanung, die es geschafft hat, die normativen Ansprüche in ihren Prozessen abzubilden und einen planungskulturellen Wandel im eigenen Selbstverständnis zu vollziehen, sieht sich schließlich noch mit veralteten institutionellen Strukturen konfrontiert. Für eine erfolgreiche normative und politische Integration braucht es geeignete Organisationsstrukturen, die einen transparenten Informationsaustausch, eine flexible Beteiligung und ein fachübergreifendes Projektieren ermöglichen. Die aktuellen Strukturen in deutschen Planungs­institutionen sind von diesem Anspruch jedoch noch weit entfernt (Reichard u. a. 2019). In den Verkehrsverwaltungen sind strukturelle Barrieren tief verankert, die modernes Planungshandeln und progressive Governance-Konzepte im Keim ersticken. Dementsprechend sind für eine funktionierende Integrierte Verkehrsplanung die Verantwortlichkeiten und Entscheidungsstrukturen innerhalb der Institutionen grundlegend zu hinterfragen.
Bedingt durch die strukturkonservative Planungskultur des vergangenen Jahrhunderts sind die administrativen Institutionen in Deutschland noch stark hierarchisch und fachsegregiert aufgebaut. Eine Betrachtung der Organigramme deutscher Planungsämter und Ministerien offenbart, dass strukturelle Zuschnitte immer an den jeweiligen Planungsin­stru­menten ausgerichtet sind, wie beispielsweise dem Straßen- und Ingenieursbau (BMDV) oder dem Verkehrsmanagement (SenUMVK Berlin). Damit wird ein maßnahmenoffenes Agieren der Verkehrsplanung entlang von Leitbildern und Zielkriterien von Anbeginn erschwert, da die jeweiligen Fachabteilungen immer nur ihre eigene bornierte Perspektive mitbringen.
Besonders in Bezug auf Mobilität und Verkehr sind ressortübergreifende Strukturen erforderlich, da die Politikfelder viele Interdependenzen haben. Bei der Gestaltung eines neuen Stadtquartiers müssen z. B. Aspekte der Mobilität, der Umwelt wie der Wirtschaft von Beginn an mitgedacht und mitgeplant werden. In der Verwaltungspraxis des Bundes, der Länder und der Kommunen zeigt sich, dass die starren Referatszuschnitte den Herausforderungen an eine moderne Verkehrsplanung nicht gewachsen sind (Kutter 2016, 234). Die recht langwierigen und ressourcenaufwendigen Abstimmungsverfahren schaffen zusätzliche Ineffizienzen und führen dazu, dass Fachabteilungen aneinander vorbeiplanen, anstatt gemeinsame Lösungen zu entwerfen. Beispiele aus der Planungspraxis sind die Parallelfinanzierung von Straßen-, Schienen- und Flugverkehrsstrukturen auf Bundesebene oder verwaltungsinterne Blockaden bei der Umwidmung von Flächen im öffentlichen Straßenraum, die bisher für den Autoverkehr vorgehalten werden, zugunsten des sog. Umweltverbunds (Öffentlicher Verkehr sowie Rad- und Fußverkehr). Versuche, referatsübergreifende Projektgruppen und übergeordnete Stabsstellen zu bilden, weisen in die Richtung einer flexiblen und themenübergreifenden Verwaltungsorganisation.
Um zukünftig auch die strukturellen Barrieren der Verkehrsplanung zu überwinden, ist eine grundlegende Modernisierung und fachliche Integration der Planungsinstitutionen notwendig. Hierbei gilt es, die verkehrsträgerbezogenen Fachzuschnitte aufzulösen und übergeordnete Themenfelder wie Mobilität, Stadtraum oder Erreichbarkeit in den Mittelpunkt zu stellen (vgl. Abbildung 1). So muss sich die Interdisziplinarität des Verkehrssystems auch innerhalb der Verwaltungsstrukturen bis zu den einzelnen Fachreferaten wiederfinden.
In Kombination mit neuen Strukturen, die die politischen Entscheidungsträger*innen mit den Fach­pla­ner*in­nen vernetzen, können Verwaltungen spontan und effizient Konzepte wie z. B. die temporären Pop-Up-Bikelanes in Berlin-Kreuzberg umsetzen. Eine solch moderne Art der Verkehrsplanung ist nur möglich, wenn entsprechende Entscheidungs- und Kommunikationsstrukturen geschaffen werden, die abseits der althergebrachten Verwaltungsorganisation operieren. Gelingt es, diese strukturellen Barrieren zu überwinden, können die Verwaltungen zukünftig auch wieder zu Innovationsträgern werden, wie sie es vor 100 Jahren schon einmal waren.

Ausblick

Alles in allem hat es die Integrierte Verkehrsplanung in Deutschland bis heute schwer. Der fehlende Einbezug normativer Zielansprüche in den Regelwerken, die weitverbreitete Skepsis gegenüber inklusiven Planungsprozessen und die überholten Strukturen in den Verwaltungen verhindern eine Verkehrsplanung, die entlang der gesellschaftlichen Leitbilder den Verkehr gemeinsam mit den betroffenen Menschen gestaltet. Einen Schritt in die richtige Richtung macht die Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen (FGSV) mit ihren Empfehlungen Klima 2022 (FGSV 2022), in denen sie eine Überarbeitung der bestehenden technischen Regelwerke vorschlägt, die sich an den politischen Klimaschutzzielen orientieren. Damit werden erstmals explizit normative Ziele formuliert, die mit den technischen Regelwerken erreicht werden sollen.
Darüber hinaus zeigt eine wachsende Zahl von Kommunen, dass auch die kulturellen und strukturellen Barrieren überwunden werden können. So finden sich immer wieder Positivbeispiele für unkonventionelle oder kreative Lösungsansätze, wie beispielsweise die Mobilitätsberichterstattung in Berlin Pankow (Hausigke u. a. 2021). Derartige Erfolgsstrategien im ganzen Bundesgebiet zusammenzubringen und anzuwenden, muss definiertes Ziel moderner Verkehrspolitik sein.

Literatur

Becker, Udo J./Schwedes, Oliver 2020: Zur Reformbedürftigkeit der Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen e. V. Plädoyer für ein repräsentatives Verfahren bei der Festlegung von Richtlinien im Straßenverkehr. Discussion Paper. Berlin, TU Berlin, Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung; https://www.ivp.tu-berlin.de/fileadmin/ fg93/Dokumente/Discussion_Paper/DP16_BeckerSchwedes.pdf

Derlien, Hans-Ulrich/Böhme, Doris/Heindl, Markus 2011: Bürokratietheorie. Einführung in eine Theorie der Verwaltung. Wiesbaden.

FGSV – Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen 2022: Empfehlungen zur Anwendung und Weiterentwicklung von FGSV-Veröffentlichungen im Bereich Verkehr zur Erreichung von Klimaschutzzielen. Klimarelevante Vorgaben, Standards und Handlungsoptionen zur Berücksichtigung bei der Planung, dem Entwurf und dem Betrieb von Verkehrsangeboten und Verkehrsanlagen. Köln; https://www.fgsv-verlag.de/e-klima-2022

Hausigke, Sven u. a. 2021: Leitfaden Mobilitätsberichterstattung. Ein Instrument zur Gestaltung einer nachhaltigen Mobilität; https://mobilbericht.mobilitaet.tu-berlin.de/leitfaden.pdf

Kutter, Eckhard 2016: Siedlungsstruktur und Verkehr: Zum Verständnis von Sachzwängen und individueller Verkehrserreichbarkeit in Stadtregionen. In: Schwedes, Oliver/Canzler, Weert/Knie, Andreas (Hg.): Handbuch Verkehrspolitik. Wiesbaden, S. 211–236.

Möllers, Christoph 2008: Der vermisste Leviathan. Staatstheorie in der Bundesrepublik. Frankfurt/M.

Münkler, Laura 2020: Expertokratie: Zwischen Herrschaft kraft Wissens und politischem Dezisionismus. Tübingen.

Reichard, Christoph/Veit, Sylvia/Wewer, Göttrik 2019: Verwaltungsreform – eine Daueraufgabe. In: Veit, Sylvia/Reichard, Christoph/Wewer, Göttrik (Hg.): Handbuch zur Verwaltungsreform. Wiesbaden, S. 1–13.

Schwedes, Oliver/Hoor, Maximilian 2019: Integrated Transport Planning: From Supply- to Demand-Oriented Planning. Considering the Benefits. In: Sustainability, Heft 11. 5900; https://doi.org/10.3390/su11215900

Schwedes, Oliver/Rammert, Alexander 2020: Was ist Integrierte Verkerhsplanung? Hintergründe und Perspektiven einer am Menschen orientierten Planung. IVP-Discussion Paper No. 2020 (2). http://hdl.handle.net/10419/218899

Seibel, Wolfgang 2017: Verwaltung verstehen. Eine theoriegeschichtliche Einführung. Frankfurt/M.

Alle Links letztmalig abgerufen am 20.1.2023

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