Die Autorin

Prof. Dr. Laura Seelkopf lehrt am politikwissenschaftlichen Geschwister-Scholl-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

Das Steuersystem als Instrument des Kampfes gegen Armut

Steuerpolitik verfolgt in der Regel drei wesentliche Ziele. Sie generiert Staatseinnahmen, sorgt für Umverteilung und dient der Regulierung. Insofern scheint sie ein prädestiniertes Instrument zur Armutsbekämpfung zu sein. Fest steht, dass es zwischen Steuereinnahmen und den verausgabten Mitteln für sozialpolitische Maßnahmen einen direkten Zusammenhang gibt. Kaum verwunderlich also, dass Deutschlands größter Posten der Staatsausgaben für sozialpolitische Maßnahmen veranschlagt ist. Doch wie gestaltet sich diese Form der Armutsbekämpfung für Länder des Globalen Südens mit niedrigen Steuereinnahmen und widrigen Bedingungen zu deren Einziehung? Und welche Rolle spielt dabei die internationale Gemeinschaft?

Der europäische Wohlfahrtsstaat ist historisch und global gesehen einzigartig. Noch im langen 19. Jahrhundert nahm der Staat eher die Rolle des Nachtwächters ein und überließ die soziale Absicherung privaten Akteuren wie Kirchen und Selbsthilfevereinen. Dass Sozialpolitik heute den Hauptausgabeposten des Staates darstellt und dieser ein Drittel oder mehr der gesamten Wirtschaftskraft eines Landes beträgt, ist für den größten Teil der früheren oder aktuellen Weltbevölkerung undenkbar. Und diese Leistungen gehen inzwischen deutlich über die Bekämpfung absoluter oder relativer Armut hinaus. Möglich war dies nur durch den Wandel des Nachtwächterstaats zum Steuerstaat. Die Einführung moderner Steuern und Abgaben und die Bürokratisierung des Staates (und seiner Bürger*innen) erlaubt es Regierungen weltweit, enorme Summen als Staatseinnahmen zu erzielen und für wichtige Aufgaben wie die Armutsbekämpfung einzusetzen. 

Die weltweite Einführung moderner Steuern
Die Beweggründe für die Einführung moderner Steuern waren und sind vielfältig (Genschel/Seelkopf 2022) und hatten häufig wenig mit sozialen Fragen zu tun. Dennoch schafften diese weltweit die Grundlage dafür, dass der Staat zum (aspirationalen) Hauptakteur der Armutsbekämpfung und Garant sozialer Sicherung werden konnte. Trotz unterschiedlichster politischer Regime, wirtschaftlicher Entwicklungsstufen und Traditionen haben sich überall die gleichen Hauptsteuerinstrumente durchgesetzt. Wie Abb. 1 (S. 40) zeigt, führten fast alle Staaten weltweit drei oder mehr der vier modernen Steuern (auf persönliches und Unternehmenseinkommen, Erbschaft und generellen Verbrauch) plus Sozialabgaben ein.

In entwickelten Demokratien ist die genaue Ausgestaltung des Steuersystems und die Frage, welche Steuer wieviel zu den Einnahmen beiträgt, in erster Linie eine politische Entscheidung. In Ländern des Globalen Südens variiert es deutlich stärker, wie effektiv die einzelnen eingeführten modernen Steuern tatsächlich sind; und damit sowohl der Steuermix als auch die Höhe des Steueraufkommens. Mehr als die Hälfte der armen Länder nimmt weniger als 15 Prozent ihres Bruttoinlandprodukts (BIP) an Steuern ein – und liegt damit unter dem…

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