Der Autor

Prof. Dr. Andreas Heinemann-Grüder ist Senior Researcher am Bonn International Center for Conflict Studies, außerplanmäßiger Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bonn und Senior Fellow am Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (CASSIS).

Den Krieg vom Ende her denken

Aufgrund der mangelnden politischen Bereitschaft der Nato zu einer militärischen Beistandspflicht gegenüber der Ukraine besteht die einzige Chance auf eine Beendigung der Kampfhandlungen in der nachhaltigen Schwächung des putinschen Regimes infolge eines vollständigen Debakels der russischen Kriegsführung. Putins Niederlage ist Europas und Russlands einzige Chance. Nur infolge einer Niederlage wird sich das Regime wandeln, öffnen und sich seinem Imperialismus, Militarismus und seiner Gewaltkultur stellen. Gegenüber Putins Russland ist nicht ‚strategische Empathie‘ gefragt, sondern strategische Vorausschau, die den Krieg vom Ende her denkt.

Strategische Vorausschau bedeutet, sich vorzustellen, was eintreten kann, und zu wissen, welche Ziele man wie erreichen will. Deutschland will nicht in den Krieg hineingezogen werden, nicht erpressbar sein, keine Westerweiterung Russlands, es will den Krieg möglichst bald beendet sehen und seine globalen Auswirkungen eindämmen. Das sind, jenseits aller Differenzen zwischen den politischen Lagern und Interessengruppen, die parteiübergreifend geteilten Prioritäten. Alle ‚wertebasierte Außenpolitik‘ ist diesen Prioritäten untergeordnet, unabhängig davon, ob man ein Anhänger eines ‚gerechten Friedens‘ (Revision der Aggression) oder eines ‚schnellen Friedens‘ (Waffenstillstand um jeden Preis) ist. Die Sanktionspakete sollen Russland abstrafen, die Waffenlieferungen das Überleben der Ukraine sichern und die 100 Milliarden Euro Sondermögen Bundeswehr Deutschland für den unwahrscheinlichen Fall der Landesverteidigung wappnen. Doch reicht dieses reaktive Verhalten auf Russlands Aggression? Auf welche Art von Nachkriegsordnung sollten wir uns einstellen und auf welchen Frieden hinwirken? 

Falsche Räson des Westens: Putin nicht provozieren
Weder die Nato noch die EU, geschweige denn Deutschland sind in Russlands Krieg gegen die Ukraine Kriegspartei. Die Rhetorik klingt bisweilen deshalb schrill, weil übertönt werden muss, dass der Ukrainekrieg mitnichten ‚unser‘ Krieg ist. Alle, die zögern, der Ukraine Panzer, Kampfflugzeuge oder Raketen zu schicken, suchen sich hinter den Bündnispartnern zu verstecken, um nicht offen einzugestehen, dass das Territorium Russlands sakrosankt ist, d. h. eine Verteidigung der Ukraine nur auf ukrainischem Territorium ermöglicht und die militärische Asymmetrie zugunsten Russlands nicht gefährdet werden soll. Wem ist die Ukraine einen toten Soldaten – am Hindukusch haben ‚wir‘ noch Deutschland verteidigt – oder gar das Ende der Ampelkoalition wert? Die Furcht vor russischer Eskalation, das Primat wirtschaftlicher Interessen (der Krieg darf nicht zu Rezession führen) und die Vorstellung, eine ‚europäische Friedensordnung‘ (was immer sich hinter dieser Floskel verbirgt) sei nur mit Russland denkbar, tragen nach wie vor zu dem permissiven Umfeld bei, das Putins Aggression ermöglicht…

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