Im Interview

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Thomas Glauben ist Direktor des Leibniz-Instituts für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien und Professor für Agrarökonomie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Das Interview für POLITIKUM  führte Ina Schildbach.

Der Ukraine-Krieg, der Welthandel und der Hunger im Globalen Süden

POLITIKUM: Ich möchte mit Ihnen über die Auswirkungen des Ukraine-Krieges und der Sanktionspolitik auf den Hunger in der Welt sprechen. Zunächst allgemein gefragt: Der Welthungerhilfe zufolge sind über 800 Millionen Menschen von chronischem Hunger betroffen, weitere 150 Millionen sind von akutem Nahrungsmangel betroffen. Welche Trends in Bezug auf die Bekämpfung des Hungers können Sie beobachten?

Thomas Glauben: In der Tat ist die Reduktion von Hunger, Unterernährung und Armut – Zustände und Risiken, die eng miteinander verknüpft sind – eine zentrale Herausforderung. Besonders für die davon sehr betroffenen Regionen in Afrika und Asien. Auch die Weltgemeinschaft verbrieft in den Entwicklungszielen (SDGs) der Vereinten Nationen etwa neben der Abwendung kriegerischer Konflikte oder der Begegnung klimabedingter Risiken auch die Bekämpfung von Hunger und Armut als eine der drängendsten globalen Aufgaben der Menschheit. Nicht zuletzt haben spätestens seit den 1990er Jahren wirtschaftliches Wachstum, soziale und marktwirtschaftliche Errungenschaften und insbesondere der massive Ausbau internationaler Agrarhandelsbeziehungen merklich zur Reduktion von Ernährungsrisiken und Hunger im Globalen Süden beigetragen. Dadurch konnte weitaus Schlimmeres vermieden werden. So hat sich beispielsweise seit Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) im Jahr 1995 der Weltagrarhandel mehr als verdoppelt. Oder vielleicht noch wichtiger: Die Lieferungen von Weizen, einem der wichtigsten Grundnahrungsmittel, nach Afrika hat sich seit den 1990ern ungefähr versiebenfacht; 2021 kam ein Großteil davon aus Russland und der Ukraine. Somit konnte der boomenden Nachfrage in Folge des hohen Bevölkerungswachstums in der Region begegnet werden. Um es auf den Punkt zu bringen: Die Globalisierung der Agrarmärkte erwies sich als ein Segen in Sachen Hungerbekämpfung. Dennoch ist seit einigen Jahren, insbesondere seit der Corona-Krise, wieder ein Anstieg an Hungernden und Unterernährten zu beobachten. In 2021 waren fast 200 Millionen Menschen in knapp 50 Ländern von akutem Nahrungsmangel betroffen. Besonders dramatisch ist die Lage etwa im Südsudan, Somalia und Äthiopien oder auch in arabischen Ländern wie Jemen und Syrien sowie Afghanistan. Länder, die ständig Kriegen und/oder Dürren bzw. Extremwetterereignissen ausgesetzt sind. Es gibt also noch viel zu tun. Viel zu tun für den Klimaschutz. Und viel zu tun für die internationale Diplomatie.

POLITIKUM: Covid-19-Pandemie, Klimawandel, Krieg – wir leben in Zeiten multipler Krisen. In den ersten Monaten des Angriffskrieges standen vor allem die blockierten Häfen, die dadurch erzeugte Verknappung von Getreide und der allgemeine Anstieg der Lebensmittel- und Düngerpreise im Fokus. Hat sich die Lage durch die von der Türkei vermittelte Vereinbarung zwischen der Ukraine und Russland dauerhaft entspannt? 

Thomas Glauben: Ja. Die Lage hat sich,…

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