Deutschland und die neue Geoökonomie
Die Formel „Wandel durch Handel“ hat sich als naiv erwiesen. Doch zunehmende Rufe nach Autarkie, selbst wenn sie auf Teilbereiche beschränkt bleiben sollten, sind gefährlich. Sowohl ökonomisch als auch politisch wäre ein von Deutschland forcierter Rückbau der internationalen Arbeitsteilung unsinnig. Welche Optionen für die Neugestaltung der Handelsbeziehungen sind also denkbar?
Gut dreißig Jahre lang war die Außenwirtschaftspolitik Deutschlands vorwiegend von betriebswirtschaftlichen und kaum von außenpolitischen Überlegungen geprägt. Für die Investitionsentscheidungen deutscher Unternehmen waren Fragen nach den politischen Verhältnissen in den Partnerländern ohne Belang. Deutsche Unternehmen, in erster Linie die Unternehmenseigner und die in diesen Firmen Beschäftigten, profitierten von der internationalen Arbeitsteilung in hohem Maße. Etwaige Bedenken wegen der Zusammenarbeit mit autoritären Staaten wurden mit der vermeintlich klugen Formel vom „Wandel durch Handel“ unterdrückt. Deutsche Unternehmer, aber auch die deutsche Politik gaben sich lange der Illusion hin, eine Vertiefung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit etwa mit der Volksrepublik China werde dort einen doppelten Wandel auslösen: Über kurz oder lang werde sich China sowohl zu einer Marktwirtschaft als auch zu einer Demokratie wandeln. Das Ausbleiben von politischen und wirtschaftspolitischen Veränderungen in den Partnerländern wurde gerne übersehen.
In den vergangen zwei Jahren hat sich deutlich gezeigt, dass der geopolitische Konflikt weder kurz- noch mittelfristig aufgelöst werden kann. In den USA, aber auch in einer Reihe von anderen Ländern wie Australien, Indien und Japan, haben viele Beobachter die Erwartung geäußert, dass der Konflikt lange anhalten wird. Die indische Regierung etwa reduziert ihrerseits die wirtschaftlichen Beziehungen zum geographischen Nachbarn und Rivalen. Die Zeichen mehren sich in vielen Teilen der Welt, dass die Phase der unpolitischen Globalisierung zu Ende gegangen ist. Hank Paulson, früherer Chef der Investmentbank Goldman Sachs und später amerikanischer Finanzminister, konstatierte schon im November 2018 die Herausbildung eines neuen, wirtschaftlichen Eisernen Vorhangs (Cox 2018).
Im Jahr 2022 ist der geopolitische Konflikt zwischen China und Russland auf der einen und den von den USA geprägten westlichen Industrieländer für alle Beobachter unübersehbar geworden. Damit ist auch die ökonomische Dimension der Geopolitik in den Mittelpunkt der außenpolitischen Debatte getreten: Welche geoökonomischen Ziele sollte Deutschland verfolgen? Mit welchen außenwirtschaftspolitischen Maßnahmen soll die deutsche Regierung also versuchen, geopolitische Interessen durchzusetzen? Doch zunächst müssen die Fehler der letzten Jahre analysiert werden. Warum war es ein Fehler der deutschen Wirtschaft, außenpolitische Konflikte lange Zeit auszublenden?
Deutschland war naiv und…
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