Digitalisierung: Gefahr für die Demokratie?

Digitalisierung als Gefahr für die Demokratie zu thematisieren, ist eine im öffentlichen Diskurs häufig gebrauchte Formel. Doch welche Vorannahmen und welches Demokratieverständnis liegen diesen Diskursen zugrunde? Und wie lassen sich Erwartungen und Befürchtungen, die aus dem Zusammenwirken von technischer und gesellschaftlicher Entwicklung entstehen, ordnen und einschätzen?


Es gab in den letzten Jahren viele Themen, die eine Diskussion über Digitalisierung als Gefahr für die Demokratie befeuert haben – man denke an die Diskussionen um Filterblasen, Fake News und Hate Speech, die aktuellen Vorwürfe der Manipulation von Wahlkämpfen und Wahlen oder ganz generell den Aufstieg populistischer Bewegungen und Parteien in fast allen westlichen Demokratien, der oft mit dem Medienwandel in Verbindung gebracht wird. Die Wendung von der „Gefahr für die Demokratie“ ist darüber zu einem Gemeinplatz im öffentlichen Diskurs geworden. Sie hat in vielerlei Hinsicht die Narration von den Verheißungen der Digitalisierung abgelöst. Und die Erzählung vom blinden Setzen auf die technische Utopie, die dann notwendig an der harten Realität des neoliberalen Kapitalismus und der zynischen Machtpolitik zerschellt, hat viel Kraft. Sie leitet bis heute fast jeden Meinungsartikel zur Entwicklung digitaler Kommunikation ein. 

Mit der Frage nach den Gefahren der Digitalisierung für die Demokratie als Essayfrage konfrontiert zu sein, bedeutet deshalb aber zunächst einmal, kaum zu wissen, wo eigentlich anfangen. Bevor ich im Folgenden also auf das „Was“ dieser Gefahr kurz eingehen will, werde ich zunächst über die Formulierung selbst – Digitalisierung als Gefahr für die Demokratie – nachdenken. In ihr zeigen sich nämlich bereits mehrere Eigenheiten der öffentlichen Auseinandersetzung mit Digitalisierung und Demokratie. 

Digitalisierung – Gefahr – Demokratie: Versteckte Vorannahmen
Zumindest in drei Hinsichten lädt die Wendung zur Reflexion ein: Zunächst einmal ist da der Begriff der Digitalisierung selbst. Dass sich der Diskurs um Digitalisierung dreht, ist eine relativ neue Schwerpunktsetzung. Sie unterscheidet die aktuelle Debatte von jener in den 90er und frühen 2000er Jahren, die stets das Internet in den Vordergrund stellte, sich also hauptsächlich um Vernetzung drehte. Der Begriff der Digitalisierung greift weiter aus: Er umfasst etwa auch Veränderungen in der Erfassung von Wirklichkeit durch Daten – Stichwort: Big Data – sowie deren algorithmische Auswertung – Stichwort: Künstliche Intelligenz. Zugleich öffnet sich der Horizont zeitlich, da mittels Digitalisierung etwa auch an ältere Kybernetik-Diskurse, die Steuerung der Gesellschaft durch Feedback und Automatisierung, angeknüpft werden kann. Die begriffliche Neujustierung erlaubt unproduktiv gewordene Dichotomien, wie jene zwischen online und offline, zurückzulassen und bricht den einseitigen Fokus auf intentionale Kommunikation auf. Dieser begriffliche Differenzierungsgewinn realisiert sich ungeachtet der Tatsache, dass in einer Vielzahl von Meinungsbeiträgen die Präzisierung direkt wieder zurückgenommen wird, da Digitalisierung auf Soziale Medien enggeführt wird und höchstens noch ergänzt um die Ubiquität des Smartphones und die Automatisierung der Content-Moderation gedacht wird.

Zweitens ist da das Porträt von Digitalisierung als „Gefahr“. Gefahr ist deshalb interessant, weil Gefahr nicht Krise ist. Während die Krise auf den inhärenten Widerspruch rekurriert, welcher das System in Frage stellt, ist die Gefahr etwas der Demokratie Äußeres. So wird Digitalisierung von Gesellschaft getrennt, zu einer abgrenzbaren Kraft gemacht. Mächtig, aber doch isolierbar. Gerade weil gegenwärtig eine Vielzahl von Krisendiskursen – von der Postdemokratie über die scheiternde Transnationalisierung der demokratischen Idee bis hin zum Sterben der Volksparteien – um die Demokratie geführt wird, fällt auf, dass Digitalisierung meist eher als diskursiver Brandbeschleuniger oder mit Blick auf die Gefahr der (amerikanisch dominierten) Monopolfirmen eingeführt wird. Digitalisierung, die als Gefahr thematisiert wird, kommt insofern zwar in einem Moment der Schwäche, bleibt aber etwas, was zumindest in ruhigeren Zeiten und von fokussierten Eliten beherrschbar wäre. Viel zu selten wird die sich verändernde Realität gesellschaftlicher Problemkommunikation und Erwartungshorizonte oder die Erfassung der Welt durch die Mittel von Quantifizierung und Statistik zum Thema. Hier zeigt sich, dass unser theoretisches Denken über Demokratie schon lange erstaunlich blind ist für die Frage der kommunikativen und medialen Konstitution unserer Gesellschaft. 

Direkt hieran anschließend lohnt es sich auch beim dritten Substantiv der Wendung, der Demokratie, genauer hinzuschauen. Hier ist es der Singular, der interessant ist. Dieser umschließt nicht nur die reale Vielfalt existierender liberaler Demokratien, deren grundlegende Mechanismen wie aktuelle Konstellationen, sondern meint oft auch gleich noch Demokratie als Prinzip mit. Digitalisierung wird dann nicht nur als eine konkrete Gefahr der Entmächtigung demokratischer Kräfte gesehen, sondern in ihrer Folge wird selbst eine Inkompatibilität von Digitalisierung und demokratischer Selbstbestimmung nicht ausgeschlossen. Demokratie wird hier also sehr stark essenzialisiert, etwas, was zum einen in Anbetracht der sehr wechselhaften Füllung des Demokratiebegriffs in der Geschichte politischer Ideen einen seltsam universalen Zug behauptet, zum anderen analytisch immer dann zum Problem wird, wenn die Gefahr für die Demokratie eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Entwicklungen abschließend zu subsummieren droht und dabei etwa auch sehr unterschiedliche Weisen des Umgangs mit den Möglichkeiten digitaler Transformation und deren erhebliche positive Auswirkungen etwa auf die Mobilisierungsfähigkeit schwer zu organisierender gesellschaftlicher Gruppen negiert.

Demokratieverständnisse in der Diskussion
An diesem dritten Aspekt des nur selten explizierten Demokratieverständnisses nimmt meine nun folgende sortierende Einordnung der Gefahrendiskurse ihren Ausgangspunkt. Hierbei wird weder ein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben noch auch nur versucht, den empirischen Variationen spezifischer Herausforderungen und Argumente gerecht zu werden. Worum es geht ist eine Hilfestellung anzubieten, die es erlaubt, Gefahrendiskurse entlang ihrer zentralen Argumentationslinien zu klassifizieren. Den zwei herausgearbeiteten Perspektiven – Digitalisierung als Gefahr für das etablierte System repräsentativer Demokratie und Digitalisierung als Kraft, die die Voraussetzungen von Demokratie unterminiert – werde ich zudem noch eine dritte, im Diskurs etwas weniger präsente Argumentationslinie zur Seite stellen. Diese weist auf die durch Digitalisierung sich verändernden Praktiken von Herrschaft und Regulierung hin und zeigt, dass diese Entwicklung, die von größter Bedeutung für Demokratie und unser demokratisches Zusammenleben ist, kaum in unseren gängigen Theorien der Demokratie reflektiert wird.

Liberale Demokratie und die Kontrolle der Repräsentierenden
Der erste Argumentationsstrang ist jener, der Digitalisierung als Gefahr für das etablierte System repräsentativer Demokratie identifiziert. Hierin sind es wiederum zwei Perspektiven, die viel Aufmerksamkeit im Diskurs erhalten. Die erste bezieht sich auf die im liberalen Demokratieverständnis zentrale Funktion der Auswahl der regierenden Eliten, sprich: der demokratischen Wahl. Insbesondere das Vorfeld der Wahl, die Manipulation von Wählerstimmungen, erscheint als Bereich, der in digitalen Kontexten großer Veränderung unterliegt (Persily 2017). Tracking und die Personalisierung von Botschaften, so das Argument, sollen eine gezielte Manipulation des Abstimmungsverhaltens erlauben. Einschlägiges Beispiel für eine solche Debatte ist der Fall Cambridge Analytica. Diese Entwicklung stellt – so das theoretische Argument – die authentische Erfassung und Abbildung von Wählerpräferenzen in Frage. Es wird eine direkte Möglichkeit der Beeinflussung des Wahlergebnisses angenommen und ein unmittelbarer Einfluss von Geld und Machtpositionen bzw. technischen Fertigkeiten erkannt. 

Die andere Variation in diesem ersten Argumentationsstrang beschäftigt sich mit dem allgemeinen Verhältnis gewählter Repräsentanten zu Repräsentierten. Hier ist die Annahme, dass die durch Digitalisierung erzeugte Unmittelbarkeit die Akzeptanz demokratischer Repräsentation untergräbt. Wahlkämpfe werden permanent, Erregung und Klientelpolitik verhindern, dass es zu sachlicher Auseinandersetzung oder wirksamer Kontrolle kommt (Mounk 2018). Die Fragmentierung oder Radikalisierung von Parteiensystemen gilt als anschauliches Beispiel. Theoretisch zentral für diese Perspektive ist die in Digitalisierung angelegte Transformation des Mediensystems. Diese stellt nach Ansicht der Kritiker das redaktionelle Prinzip in Frage, welches die Hervorbringung öffentlicher Meinung zurückband an Prinzipen des argumentativen Austauschs. Es werde ersetzt durch ein System, welches Popularität durch Likes und Retweets messe, höchst anfällig für Manipulation sei und zudem Gatekeeper gar nicht verschwinden lasse, wie am Anfang des Internetdiskurses versprochen, sondern vielmehr eine neue und viel umfassendere Abhängigkeit von einer neuen Klasse von Gatekeepern hervorgebracht habe, den Plattformen. 

Beiden Varianten dieses ersten Argumentationsstrangs liegt ein liberales Verständnis von Demokratie zugrunde: Die Idee einer die Mehrheitsverhältnisse reflektierenden Kontrolle der Bürger über die von ihnen erwählten Eliten. Dabei wird sowohl die Ermittlung des Wählerwillens wie auch die Effektivität und/oder Rationalität der Kontrolle als durch Digitalisierung bedroht angesehen. Der Stress, dem liberale Demokratien derzeit gerade in ihren Kernregionen, den europäischen Staaten und den USA, ausgesetzt sind, erklärt das Gewicht des Erklärungsansatzes.

Digitalisierung und die Voraussetzungen der Demokratie
Der zweite große Argumentationsstrang in der öffentlichen wie wissenschaftlichen Diskussion nimmt ein substantielles, weniger prozedurales Verständnis von Demokratie als Grundlage. Hier wird die Frage aufgeworfen, inwiefern unter Bedingungen der Digitalisierung die Voraussetzungen demokratischer Selbstregierung überhaupt noch zu erfüllen seien. 

Auch dieser Diskurs lässt sich in zwei große Argumentationslinien unterteilen: Zunächst in eine Perspektive, die in der Fragmentierung von Öffentlichkeit die zentrale Gefahr erblickt. Hier wird diskutiert, inwiefern angesichts von Filterblasen, Echokammern und sich zunehmend parzellierender Öffentlichkeiten eine demokratische Identität gebildet werden und sich erhalten kann. Die zerfallende übergreifende öffentliche Sphäre wird als entsolidarisierend begriffen, eine Verflachung oder gar Verrohung der politischen Auseinandersetzung befürchtet. Politisch werde durch den Verlust von Öffentlichkeit die bevormundende Herrschaft von Eliten oder die exkludierende und wankelmütige Herrschaft des Mob etwa gleich wahrscheinlich, unmöglich hingegen sei die Bildung eines demokratisch umfassenden Gemeinwillens (Rendueles 2015). 

Etwas anders gelagert sind Diskursbeiträge, die um die Rationalität demokratischer Auseinandersetzung fürchten. Hier sind es Fake News und Filterblasen und die mit ihnen verbundene Angst, dass gut begründete Positionen kein Gehör mehr finden, welche in der Gefahrendiagnose hervorgehoben werden. Nicht das inkludierende, identfikationaufbauende Moment von Öffentlichkeit wie in der ersten Argumentationslinie, sondern die Bedeutung von Öffentlichkeit in der Abwägung und Bewertung von Argumenten ist hier der Fokus. Befürchtet wird, dass Demokratie nicht mehr als Marktplatz der Ideen die besten Lösungen hervorbringt, sondern stattdessen an Input- wie Output-Legitimität verliert, weil es an gemeinsamer Wahrnehmung und ernster Beschäftigung fehlt (Habermas 2008). Der Politikstil Donald Trumps mit seiner hohen Widersprüchlichkeit und der Ausrichtung auf kurzfristige Effekte und hohe Emotionalisierung ist hier ein viel geäußertes und unmittelbar mit Digitalisierung – Twitter – verbundenes Beispiel. Noch bedrohlicher wird das Argument zudem, wenn die Ursachen für diesen Rationalitätsverlust nicht in einer aggressiven Nutzung neuer Medienlogiken diagnostiziert werden, sondern auf tiefgreifendere Veränderungen zurückgeführt werden, wie die algorithmische Sortierung der Realität oder die neuen Aufmerksamkeitsökonomien. 

Ein Zwischenfazit 
Die bis zu diesem Punkt erfolgte Wiedergabe erfasst und differenziert einen großen Teil der demokratiebezogenen Digitalisierungsdiskurse der letzten Jahre. Filter Bubbles, Hate Speech, das postfaktische Zeitalter und weitere Slogans sind in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen. Die Diagnosen werden weit geteilt und entlang einer Vielzahl von Entwicklungen in sämtlichen etablierten Demokratien diskutiert. Sie sind zudem auch relevant für die Entwicklungen in hybriden oder autoritären Regimen, wo Digitalisierung weniger Demokratieprozesse zu befördern hilft, wie zunächst erwartet wurde, sondern vielmehr auch herangezogen werden kann, um die Stabilität von Autokratien zu erklären (Morozov 2011). Alle Gefahrendiagnosen – und sie sind ungeachtet der unterschiedlichen Demokratieverständnisse durchaus gut kombinierbar – haben daher eine hohe Plausibilität, sie beschreiben echte Herausforderungen und erfordern eine umfassende Rekalibrierung des Verhältnisses von Bürgern, Öffentlichkeit und Politik. Auffällig ist aber zugleich, dass es sich in allen vier Strängen um digitale Aktualisierungen sehr alter Zweifel an der Demokratie handelt: Das Repräsentationsproblem, der manipulierbare Wähler, das Fehlen von Identität und Solidarität wie der Zerfall von Öffentlichkeit sind Klassiker der Demokratiekritik. Die Logik der Digitalisierung lässt diese Ängste wieder virulent werden und erklärt, wieso die Gefahr größer als je erscheint. Dass Demokratie in vielen ihrer institutionellen Realisierungen wie als Idee diesen Herausforderungen bisher aber zumeist trotzen konnte, verrät bereits, dass es durchaus Anlass gibt, auf Gegenkräfte und Reformierbarkeit zu hoffen und sich nicht dem technikdeterministischen Skeptizismus anheim zu geben. Die Möglichkeit von klugen Anpassungen der demokratischen Institutionen wie der Regulierung des digitalen Wandels sollte also nicht aufgrund der propagierten ‚Naturgewalt‘ Digitalisierung ausgeschlossen, sondern vielmehr offensiv gesucht werden. 

Die Rekonfiguration von Herrschaft als Herausforderung für demokratisches Zusammenleben 
Bevor abschließend Notwendigkeit und Möglichkeiten aktiven Gegensteuerns noch etwas weiter expliziert werden sollen, muss zuvor noch eine dritte Linie den beiden bisherigen Argumentationssträngen zur Seite gestellt werden. Diese ist weniger präsent in der öffentlichen Diskussion, ist von einer theoretischen Warte aus gesehen aber vielleicht sogar der interessantere Diskurs, da er nicht einfach ein Wiedergänger älterer Demokratiekritik ist. In dieser dritten Debatte liegt der Fokus auf den Veränderungen des Regierens selbst. Damit wird etwas zum Gegenstand, was in den klassischen Demokratietheorien, die die Hervorbringung des demokratischen Willens zum zentralen und oft alleinigen Gegenstand machen, nicht wirklich gesehen wird. Worauf der Fokus in dieser dritten Perspektive liegt, ist, dass sich nicht nur in Bezug auf die Konstitution, sondern auch mit Blick auf den Vollzug von Herrschaft demokratische Kriterien formulieren lassen. Klassische Demokratietheorien haben hier einen blinden Fleck: Sie nehmen an, dass gesellschaftliche Steuerung mehr oder weniger ausschließlich im Medium des Rechts erfolgt. Hiervon ausgehend formulieren sie vor allem zwei Probleme: Die Güte der Regelsetzung und die Rückbindung der Exekutive. Ersteres verweist auf die Anforderungen an Inklusivität und Repräsentativität im Moment der Erstellung des Regelwerks, letzteres einfach darauf, dass die Exekutive möglichst starr kontrolliert zu sein hat, um demokratischen Kriterien zu genügen. Digitalisierung macht nun aber offenbar, dass es sehr viel mehr Möglichkeiten gibt, Gesellschaften zu regulieren. Der digitalen Erfassung der Wirklichkeit sowie den darauf aufbauenden personalisierten Infrastrukturen wohnt ein enormes Herrschaftspotenzial inne. Exemplarisch lässt sich dies an der umfassenden Modulation digitaler Umwelten zeigen: beginnend bei unterschiedlich gepreisten Konsumangeboten (Flugreisen etwa) über personalisierte Nachrichtenfeeds und individualisierte Kreditmechanismen bis hin zu im Kern politischen Aufgaben wie etwa der Administration des Wohlfahrtsstaats oder der Überwachung öffentlicher Räume. Hier entstehen feinmaschige Netze, die nur auf den ersten Blick fairer, da individueller sind. Was hier aber passiert, ist ein Verbergen von Herrschaftsmechanismen und ein Verstärken von Ungleichheit. Kollektive Aktion oder auch nur Bewusstseinsbildung über gemeinsame Probleme oder die strukturierenden Entscheidungsmechanismen verschwindet. Die demokratische Kontrolle solcher adaptiver Umgebungen ist eine Herausforderung für sich, die nicht einfach mit den gängigen Ideen parlamentarischer Kontrolle zu bewältigen ist (wie etwa die Versuche zeigen, im Anschluss an die Snowden-Enthüllungen auf das Wirken von Geheimdiensten Einfluss zu nehmen und echte Reformen anzustoßen). 

Besonders interessant an dieser dritten Perspektive ist nun, dass die in ihr deutlich werdende Gefahr für die Demokratie in einer sehr anderen Weise beantwortet werden muss, als dies in Blick auf die beiden zuerst dargestellten Argumentationsstränge versucht wird. Ist dort für viele Autor*innen nämlich die Stärkung nationalstaatlicher Kontrolle – etwa gegenüber der Macht der Plattformen – gewissermaßen gleichbedeutend mit der Stärkung der Demokratie, so lässt sich aus einer für sich wandelnde Herrschaftstechniken sensiblen Perspektive erörtern, wieso in nationalstaatlicher Souveränität gerade nicht die Antwort, sondern auch ein großes Risikopotenzial liegt. Die gegenwärtig zu beobachtende deutlich zunehmende Fragmentierung des Netzes, die Projektion von Souveränität mit der Folge von Überwachung und staatlicher Rivalität um Kontrolle einer eigentlich globalen Ressource sind Folgen eines Denkens in den Kategorien der Gefahr, die Digitalisierung als externe Kraft versteht und zu beherrschen sucht (Mueller 2017). Digitalisierung als gesellschaftlichen Prozess anzuerkennen, eröffnet hingegen die Möglichkeit andere Handlungsweisen aufzuzeigen, eine Demokratisierung der Demokratie als Ziel auszugeben und nicht der simplen Binarität des Denkens in den Kategorien von Utopie und Dystopie zu erliegen. 

Hier zeigt sich der generelle Wert der hier erfolgten theoretischen Differenzierung des Diskurses und seiner Diagnosen: Ein solches abstraktes Räsonnieren bringt zwar keine konkreten Einschätzungen hervor – welche notwendig bleiben und einer empirisch fundierten Kritik bedürfen –, es macht aber Vorannahmen offenbar und lässt die strukturierende Wirkung von Diskursen nachvollziehen. Anders als durch den Gefahrendiskurs induziert, würde ich daher dafür plädieren, Technik nicht einfach als soziale Prozesse determinierend zu denken. Was im Vordergrund bleiben sollte, ist die Selbstorganisationsfähigkeit demokratisch-liberaler Gesellschaften. Deren durchaus breites Arsenal zur Reflexion und Steuerung auch komplexen und schnellen gesellschaftlichen Wandels. Diese wird durch Digitalisierung zweifelsohne verändert, aber eben in vielerlei Hinsicht auch erweitert. Von einer selbstbewussten Warte aus, dann angstfrei und konkret die Gefahren einzuschätzen und mittels Kritik die gesellschaftlich-technische Entwicklung zu begleiten, scheint mir der richtige, letztlich auch einzige Umgang mit dem digitalen Strukturwandel.



Literatur
Habermas, Jürgen 2008: Hat die Demokratie noch eine epistemische Dimension? Empirische Forschung und normative Theorie. In Ders.: Ach, Europa. Frankfurt/M., S. 138 – 191.
Morozov, Evgeny 2011: The Net Delusion. London.
Mounk, Yasha 2018: Can Liberal Democracy Survive Social Media? In: The New York Review of Books (30.4.18)
Mueller, Milton 2017: Will the Internet Fragment? Sovereignty, Globalization and Cyberspace. London.
Persily, Nathaniel 2017: Can Democracy Survive the Internet? In: Journal of Democracy? 28:2, S. 63 –  76.
Rendueles, César 2015: Soziophobie. Politischer Wandel im Zeitalter der digitalen Utopie. Berlin.


Zitation
Thiel, Thorsten (2018). Digitalisierung: Gefahr für die Demokratie? Ein Essay, in: POLITIKUM 3/2018, S. 50-55.



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