Der Autor

Johannes Gallon ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Europarecht der Europa-Universität Flensburg.

Prof. Dr. Anna Katharina Mangold, LL.M. (Cambridge), ist Professorin für Europarecht an der Europa-Universität Flensburg.

Grundrechte und Rechtsstaat in der Krise

Hat sich die Verfassungsordnung des Grundgesetzes in der Corona-Pandemie bewährt? Wie ist es um Rechtsstaat und Grundrechte bestellt? Und welche Herausforderungen stellen sich für den demokratischen Verfassungsstaat im Umgang mit unsicherem und veränderlichem Wissen? Ein Rückblick.


Im Jahr 2023 scheint die durch das Virus SARS-CoV-2 ausgelöste Corona-Pandemie vorbei zu sein, ihre politische Aufarbeitung kommt in Fahrt. Im Rückblick stellen sich einzelne Maßnahmen wie die Maskenpflicht im Außenbereich oder Schulschließungen als wenig wirksam oder gar ungeeignet heraus und werden beispielhaft als Beleg für eine allgemeine Unverhältnismäßigkeit der Pandemiemaßnahmen herangezogen. Schrillere Positionen in der öffentlichen Auseinandersetzung sehen gar Rechtsstaatlichkeit, Grundrechte und Demokratie in der Pandemie abgeschafft.

Mit zeitlichem Abstand lässt sich mit der notwendigen Gelassenheit aus verfassungsrechtlicher Perspektive bewerten, wie es um Rechtsstaat und Grundrechte in Deutschland und Europa in der Pandemie bestellt war. Solch unaufgeregte Bewertung ergibt, dass sich die Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland in der Pandemie im Großen und Ganzen bewährt hat. Die Pandemie hat jedoch unter dem Brennglas einer Krise die Herausforderungen für den demokratischen Verfassungsstaat offengelegt, mit unsicherem und dynamischem Wissen umzugehen. Auch zeigt sich, dass der Ausgleich kollidierender Grundrechtspositionen eine politische Entscheidung bleibt, die nicht unsichtbar gemacht werden sollte.


Die Verarbeitung von Wissen durch die Politik und im Recht 
Zu Beginn des Jahres 2020 verbreitete sich das Virus SARS-CoV-2 in Europa. Das Virus und seine Infektiosität und Letalität waren weitgehend unbekannt in Gesellschaft, Wissenschaft und Politik. In atemberaubender und bisher unbekannter Geschwindigkeit verbreitete es sich in der Welt. Mindestens ebenso er- staunlich war, wie schnell die Wissenschaft weltweit Erkenntnisse über das Virus produzierte und dieses Wissen zusammentrug. In Deutschland bereiteten das staatliche Robert Koch-Institut (RKI) und einzelne Wissenschaftler*innen das gewonnene Wissen fortlaufend auf, in den ersten Monaten der Pandemie teils tagesaktuell.

Die Politik war auf dieses Wissen als Grundlage für rechtliche Regulierungen angewiesen. Das Verfassungsrecht gab und gibt der Politik einen Rahmen für politische Entscheidungen vor. Dieser verfassungsrechtliche Rahmen ist nicht statisch, sondern seine Ergebnisse verändern sich dynamisch in Abhängigkeit der gegebenen Umstände. So verlangt das verfassungsrechtliche Prinzip der Verhältnismäßigkeit eine angemessene Reaktion des Staates, abhängig von der tatsächlichen Situation. In für Leib und Leben gefährlichen Situationen sind intensivere Eingriffe in Grundrechte verfassungsrechtlich zulässig als in ungefährlichen…

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