Interview mit Medienwissenschaftlerin Sabine Schiffer
POLITIKUM: Wie nehmen Sie den öffentlichen Diskurs zum Krieg gegen die Ukraine in Deutschland wahr?
Sabine Schiffer: Immer noch stark dichotom polarisiert, obwohl im Vergleich zu den ersten Wochen nun mehr Hinterfragen erkennbar ist. Aber nicht aus der Einsicht heraus, dass jeder Krieg ein Fehler ist und schließlich mit den Verhandlungen endet, die man anfangs nicht führen will, sondern wohl eher aus Sorge um das eigene Auskommen mit Blick auf die sich abzeichnende Energiekrise. Diese wird Putin als Aggressor allein zugewiesen, während sie auch auf die adhoc-Entscheidungen, die zu Beginn des russischen Einmarschs in die Ukraine getroffen wurden – anders als bei anderen völkerrechtswidrigen Angriffskriegen – und auch auf das jahrzehntelange Versäumnis zurückgehen, die notwendige Energiewende umzusetzen; die Ressourcen sind ja nicht nur endlich, sondern auch ein offizieller Kriegsgrund, mindestens seit der Nato-Doktrin von 1999.
POLITIKUM: Was bedeutet für Sie „dichotom polarisiert“?
Sabine Schiffer: Es scheint eine feste Trennlinie zu geben. Entweder ist man für oder gegen die Ukraine, für oder gegen Russland, wobei Solidarität mit dem Angriffsopfer fast ausschließlich mit Waffenlieferungen gleichgesetzt wurde; und somit ist man für oder gegen Waffenlieferungen. Diese Diskursverengung arbeitet denen zu, die den Krieg aus geostrategischen Gründen gerne hinnehmen oder gar noch ausweiten wollen. Er ist ja leider auch ein großes Geschäft für manche. Und ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass einige die vermeintliche Gunst der Stunde genutzt haben, um alte Konzepte aus Schubladen zu ziehen, die man längst abgelegt hatte: Atom- und Kohlekraft, Frackinggas, lange Energietransportwege und viel Schädliches mehr; also eine weitere Verschleppung der dringend notwendigen Energiewende. Das Leiden in der Ukraine tritt außerdem langsam hinter die eigenen Sorgen zurück. Zudem könnte der vermeintliche „Kampf für unsere Freiheit“ wie der in Afghanistan enden, wo ja angeblich unsere „Freiheit am Hindukusch verteidigt wurde“, sich aber plötzlich die Interessenlage änderte und man auf all die hehren Kriegsbegründungen von zuvor nun pfeift und die Menschen im Stich lässt.
POLITIKUM: Was wäre Ihrer Auffassung nach die Aufgabe der Medien in komplexen Lagen wie dem Krieg in der Ukraine?
Sabine Schiffer: Auffällig war zu Beginn des offiziellen Einmarschs russischer Truppen in die Ukraine die Diskrepanz im Mediendiskurs zwischen dem betonten Zeigen grausamer Bilder auf der einen Seite und dem wiederholten Hinweis auf der anderen, dass man die Meldungen von offiziellen Stellen nicht unabhängig überprüfen könne. Letzteres wird beibehalten und ist ein Fortschritt im Vergleich zur Berichterstattung aus anderen Kriegen,…
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