Der Autor

Prof. Dr. Benno Hafeneger lehrte und forscht als Erziehungswissen- schaftler an der Universität Marburg.

Rechtsextreme Vigilanten

Die Bundesrepublik ist seit einiger Zeit mit zwei Phänomenen des rechtsextremen Vigilantismus und dessen verzerrten Wahnwelten konfrontiert, und dies in einem Ausmaß, in dem wir es bisher nicht kannten. Gemeint sind damit zum einen Teile der Reichsbürger- und Querdenkerszene mit ihren Vernetzungen auch mit ehemaligen Aktiven in Militär und Polizei; zum anderen die selbsternannten Bürgerwehren, die es in vielen Kommunen Deutschlands gibt und die vor allem in Nordrhein-Westfalen – in vielen Stadtteilen des Ruhrgebietes – auf sich aufmerksam machen. Beides sind zugleich europäische Phänomene. In Frankreich spricht man z. B. von Vigilantismus als sozialer (anti-migrantischer) Bewegung.

Die Erstgenannten agieren – zuletzt als „Reichsbürger-Gruppe“ – mit ihren Umsturz- und Gewaltfantasien klandestin, und sie hatten als politische Vigilanten- bzw. Terrorgruppe geplant, über einen bewaffneten Umsturz mit Gewalt und Terror die Macht zu übernehmen, so die Ermittlungserkenntnis- se im Dezember 2022. Letztere inszenieren sich rituell im öffentlichen Raum, den sie als Bühne benutzen. Ihr Spektrum reicht von unpolitischen „Nachbarschaftswachen/-hilfen“ bis zu organisierten rechtsextremen „Patrioten“ mit Stategien der öffentlichen „Raumergreifung“ und auch von „Raumgewinnen“ (vgl. Berg/Üblacker 2020) sowie mehr oder weniger militanten „Aktionen“. Öffentlich geworden sind sie mit ihren sogenannten Spaziergängen auf der Straße, mit Kontrollgängen in zahlreichen Vierteln von Stadtteilen vor allem im Ruhrgebiet.

Vigilantistische Einzelpersonen, Gruppen und Netzwerke und die von ihnen aus- gehenden terroristischen Anschläge sind historisch nichts Neues. Sie reichen zurück bis zum Kapp-Putsch im Jahr 1920, mit dem versucht wurde, gewaltsam die Macht zu übernehmen. Die Zeit der Weimarer Republik als gleichsam permanente Krisensituation mit einer Art „Reichsbürgerstimmung“ ist durchzogen von Untergangsprophetien der Republik und von gewaltbereiter und gewaltförmiger Bekämpfung der Demokratie von rechts und von links. Auch in der (vergessenen) Geschichte der Bundesrepublik gab es in jeder Dekade sowie nach dem Mauerfall wiederholt vigilantistische Inszenierungen, Gewalttaten und Terror sowie rechtsextrem und antisemitisch motivierte Morde von Einzeltätern und Gruppen aus der rechtsextremen Szene. Zu erinnern ist an die „Wehrsportgruppe Hoffmann“ zu Beginn der 1980er Jahre und den Massenmord beim Oktoberfest 1980 in München, in den letzten beiden Jahrzehnten an die vielen Angriffe auf Unterkünfte für Asylbewerber und Geflüchtete, an die NSU-Morde, die Morde von Hanau oder die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten.

Bei allen Unterschieden im Grad der Radikalisierung und des Verhaltens der beiden Vigilantismusphänomene ist ihnen emotional, ideologisch und selbstdeutend gemeinsam, dass sie als eigenmächtige Selbstjustizgruppen agieren, das Recht in die eigene Hand nehmen und durchsetzen…

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