Der Autor

Rüdiger Lüdeking war lange Jahre im Auswärtigen Amt mit Fragen der Sicherheits- und Rüstungskontrollpolitik befasst, u. a. als Stellv. Beauftragter der Bundesregierung für Fragen der Abrüstung und Rüstungskon­trolle. Er war danach Botschafter bei den Vereinten Nationen und anderen internationalen Orga­ni­sationen in Wien, bei der OSZE und bis zum Eintritt in den Ruhestand 2018 Botschafter beim Königreich Belgien.

Rüstungskontrolle als Thema von gestern?

Rüstungskontrolle erscheint wie ein Thema aus ferner Vergangenheit. Wer angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine von der Notwendigkeit von Rüstungskontrolle spricht, wird damit rechnen müssen, als naiver Idealist, Träumer oder unbelehrbarer Pazifist bezeichnet zu werden. Doch Rüstungskontrolle ist weder überholt noch unzeitgemäß. Deutschland kann einen wesentlichen Beitrag zu ihrer Wiederbelebung leisten und sollte hierzu eine Führungsposition beanspruchen, auch um das Feld nicht allein auf Konfrontation gepolten Kalten Kriegern zu überlassen.


Es hat zu verschiedenen Zeitpunkten der Geschichte Vereinbarungen zur Einschränkung des Gebrauchs militärischer Macht gegeben. Diese folgten vielfach gemachten Erfahrungen und zielten darauf ab, bestimmte Verhaltensmaßregeln für die Kriegsführung vorzugeben oder besonders perfide oder brutal-menschenverachtende Formen der militärischen Auseinandersetzungen zu verbieten. Für ersteres kann die Haager Landkriegsordnung von 1899 als Beispiel dienen, für letzteres das Genfer Protokoll zum Verbot chemischer und biologischer Waffen von 1925, mit dem die Konsequenz aus den Schrecken der Giftgasangriffe im Ersten Weltkrieg gezogen wurde.

Allerdings ist die Rüstungskontrolle nach heutigem Verständnis wesentlich ein Kind des Kalten Kriegs. Dabei entsprang sie – dies ist angesichts fortbestehender grundlegender Missverständnisse zu betonen – nicht einer naiven Friedenssehnsucht oder einem illusionären Pazifismus. Sie sollte vielmehr auf Basis der Gegenseitigkeit militärische Macht und ihren Gebrauch einschränken, um damit Stabilität, Transparenz und Vorhersehbarkeit im militärischen Bereich zu fördern und Krisen und Konflikte zu verhüten oder besser zu bewältigen. Die NATO war dabei die treibende Kraft, ging es doch darum, die die europäische Sicherheitslage im Kalten Krieg beherrschende Überlegenheit des Warschauer Pakts bei konventionellen Streitkräften und Rüstungen und dessen Fähigkeit zum Überraschungsangriff und zur raumgreifenden Offensive zu beseitigen. Die NATO verfolgte Rüstungskontrolle als integralen Bestandteil ihrer Sicherheitspolitik und setzte gegen entschiedenen sowjetischen Widerstand die zentralen konzeptionellen Elemente durch:

  • Schaffung von Stabilität durch Herstellung und Wahrung eines Gleichgewichts der militärischen Kräfte und Fokussierung auf für Offensivoperationen zentrale Parameter und Waffensysteme,
  • Verifikation insbesondere durch Vor-Ort-Inspektionen, mit denen die Richtigkeit eines strukturierten, detailliert aufgeschlüsselten Datenaustausches zu den militärischen Einheiten und der Präsenz an den jeweiligen Standorten verlässlich überprüft werden kann, 
  • Vertrauensbildung durch den Ausbau militärischer Kontakte und durch größere Offenheit und Transparenz zu den militärischen…

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