Der Autor

Dr. Andreas Nick war 2013–2021 Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, zudem 2018–2022 Vizepräsident und Leiter der deutschen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Im Frühjahr 2022 war er Mercator-IPC Senior Fellow am Istanbul Policy Center der Sabancı University – Stiftung Mercator Initiative in Istanbul.

The west against the rest?

In den vergangenen Jahren hat sich die globale Anziehungskraft des demokratischen Modells deutlich reduziert. Die Gleichung, nach der wirtschaftliche Verflechtung zu stabilen internationalen Beziehungen führt, gilt so nicht mehr. Das hat für Deutschland weitreichende Konsequenzen. Denn der stark vom Erfolg seines exportgetriebenen Wirtschaftsmodells abhängige Wohlstand ist Produkt einer stabilen und offenen internationalen Ordnung. Zwar bleibt deren Pflege für deutsche Interessen und Werte zentral, machtpolitische Beliebigkeit hilft jedoch nicht.


Der großangelegte russische Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hat die sicherheitspolitische Lage in Europa grundlegend verändert. Damit wird die europäische Friedensordnung, wie sie im November 1990 in der Charta von Paris formuliert wurde, grundlegend missachtet und vorsätzlich verletzt. Als historischer Einschnitt ist dies in seinen Auswirkungen wohl vergleichbar mit dem Fall der Berliner Mauer 1989. Es bleibt zunächst nur die bittere Feststellung: Wir haben es als Europäer nicht vermocht, aus dem Geschenk der Jahre 1989/90 eine dauerhaft stabile europäische Friedensordnung und Sicherheitsarchitektur zu entwickeln und abgesichert an unsere Kinder weiterzugeben. Die Folgen sind unabsehbar und werden uns auf viele Jahre und Jahrzehnte begleiten. Dies ist in mehrfacher Hinsicht ein Paradigmenwechsel für zentrale Dimensionen deutscher und europäischer Politik, der zunächst ganz unmittelbar den Umgang mit der russischen Aggression und die Unterstützung der Ukraine betrifft. Aber die Herausforderung geht weit darüber hinaus. Sicherheitspolitisch sind wir – wie seit 1989 kaum mehr vorstellbar – mit einer strategischen und militärischen Bedrohung mitten in Europa konfrontiert, die den Anforderungen der Landes- und Bündnisverteidigung innerhalb der NATO ebenso wie Fragen der militärischen Abschreckung bis hin zur nuklearen Dimension wieder ganz zen­trale Bedeutung gibt. Auch ist die Aufmerksamkeit der verbündeten Großmacht USA plötzlich wieder auf Europa gelenkt – zu einem Zeitpunkt, wo deren Fokus sich eigentlich zunehmend in die Asien-Pazifik-Region und die Konfrontation mit der aufstrebenden Großmacht China verlagert.

Wiederkehr des Kalten Krieges oder Großmachtpolitik des 19. Jahrhunderts? 
Ob es sich im Kern tatsächlich um die Wiederkehr des „Kalten Krieges“ der Block-Konfrontation von 1945 bis 1990 handelt – und zwar auch in einem weltanschaulichen Sinne von „Demokratien versus autoritäre Staaten“ – oder eher um ein mit der Großmächtepolitik im Stile des 19. Jahrhunderts vergleichbares Szenario, nunmehr global unter Einbeziehung der USA und Chinas, bedarf der sorgfältigen Analyse, und zwar einschließlich der Frage, welches Szenario eigentlich das risikoreichere darstellen würde. Unabhängig davon bleibt es aber eine zentrale Frage für die Zukunft, welche Schlussfolgerungen aus der aktuellen Erfahrung mit Russland für…

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