Die Autorin

Prof. Dr. Clarissa Rudolph lehrt Politikwissenschaft und Soziologie an der OTH Regensburg.

Und ewig droht der Gender gap

Soziale Ungleichheit ist auch heute noch vom Geschlecht bzw. von Geschlechterverhältnissen abhängig. Dass Frauen besonders von Armutsrisiken betroffen sind, ist gleichermaßen Ergebnis weiblicher Lebensverläufe und relevanter Lebenslagen. Armutsrisiko bedeutet aber nicht nur materielle Armut, sondern auch die Einschränkung von Lebenschancen in allen gesellschaftlichen Teilbereichen. Für eine umfassende Armutsanalyse verdeutlicht eine intersektionale Betrach­tungsweise die Tragweite weiterer Identitätsmerkmale wie Migrationshintergrund oder Beeinträchtigung in ihrer Verschränkung mit der Kategorie Geschlecht.

Die Armutsgefährdungsquoten sind zwischen 2011 und 2021 insgesamt angestiegen und lagen 2021 bei den Frauen bei 17,5 Prozent und bei den Männern bei 15,7 Prozent. Aufgrund des Datenmaterials kann hier nur zwischen Frauen und Männern unterschieden werden; Angaben zum diversen Geschlecht sind in den Statistiken (noch) nicht abgebildet (vgl. www.sozialpolitik-aktuell.de). Zusätzlich zu diesen direkten geschlechtsspezifischen Unterschieden erweist sich ein genauerer Blick auf bestimmte Lebenslagen als noch aussagekräftiger. So sind Alleinerziehende zu über 40 Prozent von Armut bedroht, was v. a. Frauen betrifft. Auch ältere und alte Frauen erreichen ein stark unterdurchschnittliches Einkommen. 

Diese ersten Befunde können mithilfe einer Lebenslaufverlaufsperspektive und einem intersektionalen Ansatz eingeordnet werden. Deshalb werden zunächst diese Konzepte in einem kurzen Überblick eingeführt. Anschließend erfolgt ein Blick auf empirische Befunde zur Armutsgefährdung qua Geschlecht sowie einige ausgewählte Befunde intersektionaler Studien. 

Armut bzw. Armutsgefährdung wird hier definiert nach der Armutsgrenze, wie sie von der EU bei 60 Prozent des Median-Äquivalenzeinkommens bestimmt und auch in den Armuts- und Reichtumsberichten der Bundesregierung angewandt wird (vgl. den Beitrag von Schildbach und Großmann in diesem Heft bzw. die Infoseite S. 23).

Intersektionale Perspektiven auf den Lebensverlauf
Wissenschaftliche Analysen von sozialen Lagen nehmen oftmals einen bestimmten Zeitpunkt in den Blick und vergleichen z. B. die Einkommenssituation von Frauen und Männern im Jahr 2023. Eine solche Perspektive kann dazu beitragen, den Status quo festzuhalten und aktuelle Problemlagen zu erfassen. Allerdings wird hier kaum sichtbar, wie sich die aktuelle Problemsituation entwickelt hat und auf welche Faktoren und gesellschaftliche Institutionen sie zurückzuführen ist. Mit der Perspektive des Lebensverlaufs können die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Lebensphasen und biografischen Knotenpunkten sichtbar gemacht werden. Entscheidungen, die z. B. im Jugend- und jungen Erwachsenenalter zur Berufsausbildung getroffen werden, haben Einfluss auf Verdienstmöglichkeiten im mittleren Lebensalter, und die Entscheidung von Eltern über die…

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