Der Autor

Kersten Lahl ist Generalleutnant a. D. und war zuletzt Präsident der ‚Bundesakademie für Sicherheitspolitik‘ (BAKS). Heute publiziert er zu sicherheitspolitischen Themen und ist Vorstandsmitglied der ‚Gesellschaft für Sicherheitspolitik‘ (GSP).

Waffenlieferungen an die Ukraine: Eskalation oder Beitrag zur Konfliktlösung?

Waffenlieferungen an die Ukraine werden kontrovers diskutiert. Einerseits soll die Chance der Ukraine zur Selbstverteidigung erhalten werden, andererseits die Gefahr einer unkontrollierbaren Eskalation begrenzt. In der Abwägung dienen Waffenlieferungen jedoch eher der Deeskalation als der Eskalation. Nur sie eröffnen die Chance einer Konfliktbeendigung, sofern sie die Aussichtslosigkeit imperialer russischer Ambitionen sichtbar machen können. Nur auf diesem Wege bleibt Europas Zukunft vor aggressiven Methoden vergangener Jahrhunderte bewahrt und kann die diplomatische Zusammenarbeit sich wieder den großen globalen Themen zuwenden. Damit wird gestärkt, was im Kern für die Stabilität der internationalen Ordnung unabdingbar ist: die Autorität des Völkerrechts.

Der Überfall Russlands auf sein Nachbarland Ukraine wurde vorbereitet durch einen nach Zeit, Raum und Kräften immens aufwändigen Truppenaufmarsch, verbunden mit drastischen Forderungen an die Ukraine und den Westen. Als eine diplomatische Lösung erwartungsgemäß ausblieb, entschloss sich Vladimir Putin zur Gewalt – dies auf breiter Front. Die russischen Truppen eröffneten am 24. Februar 2022 das Feuer und rückten aus dem Osten, dem Norden und dem Süden auf das ukrainische Territorium vor. Erst jetzt offenbarte sich: Das Drehbuch war längst geschrieben. Die Mehrheit der Analysten sah in dieser Phase für den Verteidiger nur wenig Chancen, der vermeintlich haushohen Überlegenheit des Aggressors standhalten zu können.

Der vom Kreml angestrebte Blitzsieg stellte sich allerdings nicht ein. Während im Süden beachtliche Geländegewinne gelangen, stagnierte die Entwicklung im Osten und geriet der Angriff auf Kiew im Norden rasch zum Desaster. Insgesamt traten unerwartete Mängel der russischen Kriegsführung zutage: von einfallsloser Operationsführung über mangelhafte Lo­gistik bis hin zu miserabler soldatischer Moral – dies im Gegensatz zur ukrainischen Widerstandskraft, deren Intensität überraschte. Das Momentum des Angriffs war schnell verloren, und so entschloss sich Putin zu einer Rejustierung seiner Zwischenziele, indem er nun vorerst die vollständige Eroberung des Donbass und die Landbrücke zur Krim in den Fokus stellte. Seither haben die Kampfhandlungen den Charakter eines zähen, verlustreichen Abnutzungskrieges unter eher geringen Raumgewinnen angenommen.

Kernfragen ohne eindeutige Antworten 
Prognosen zum weiteren militärischen Verlauf sind schwierig. Wenig spricht für die Annahme, dass eine der beiden Seiten rasch die Oberhand gewinnen und einen ‚Sieg‘ erringen könnte, was im Falle des Angreifers als Kapitulation der Ukraine und im Falle des Verteidigers als Rückeroberung aller besetzten Gebiete einschließlich der Krim zu interpretieren wäre. Ein russischer Durchbruch auf breiter Front…

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