Der Autor

Alexander Häusler lehrt und forscht an der Hochschule Düsseldorf, FB Sozial- und Kulturwissenschaften zu Rechts­extremismus/Neonazismus.

Was ist rechts und was extrem?

Wann ist eine politische Haltung als extrem rechts einzuordnen? Unter welchen Prämissen kann eine politisch rechtsgerichtete Gruppierung als radikal oder extrem bezeichnet werden? Und ab wann ist eine Partei rechtsextrem oder populistisch?

In öffentlichen Debatten über ‚die Gefahr von rechts‘ wird oftmals mit unterschiedlichen Begrifflichkeiten operiert. So wird sowohl vor ‚neuen Nazis‘ gewarnt als auch vor neuen Formen ‚rechter Radikalisierung‘ sowie – meist auf der parteipolitischen Ebene – vor dem Aufschwung eines rechten Populismus. Im Wirrwarr der Bezeichnungen vermengen sich politikwissenschaftliche Kategorisierungsversuche mit politischen Zuschreibungen und Polemik im öffentlichen Meinungsstreit und sind dadurch zugleich Ausdruck eines Ringens um politische Deutungshoheit. 

Kontroversen um den Extremismusbegriff
Unter juristischen Gesichtspunkten kann Rechtsex­tremismus ein Ausdruck von verfassungsfeindlichem Handeln sein, das gerichtlich geahndet werden kann. Als Orientierungsmaßgabe zur juristischen Bewertung gilt allgemein die sog. Extremismustheorie, die zugleich inhaltliche Leitvorgabe für die Verfassungsschutzberichte des Bundes und der Länder ist. In den Deutungsparametern der Extremismustheorie vermischen sich jedoch politische Interpretationen mit einem Anspruch auf quasiamtliche Deutungshoheit. Das bedeutet: Obwohl der extremismustheoretische Ansatz keine juristisch festgelegte Definitionsmacht beanspruchen kann, wird er in der öffentlichen Diskussion weitestgehend als rechtlich definierte Dok­trin wahrgenommen. Während die Verfassungsschutzberichterstattung jedoch rein formaljuristischen Vorgaben unterliegt, nimmt die Extremismusforschung für sich in Anspruch, unter politikwissenschaftlichen Prämissen Geltung zu erlangen, bedient sich dabei jedoch juristisch normativer Deutungsmuster. Unterschiedliche Radikalisierungsphänomene werden dort trotz ihres jeweils völlig differenten sozialhistorischen wie inhaltlichen Entstehungskontextes unter extremismushypothetischen Prämissen vereinheitlicht. Ob nun radikal-egalitär, autoritär-rassistisch oder polit­religiös-radikalfundamentalistisch: Unter der Prämisse eines solchen Deutungskatalogs erscheinen linke, rechte und politreligiöse Strömungen ungeachtet ihrer höchst differenten politischen Wertmaßstäbe und Zielsetzungen als gleichermaßen ‚extremistische Ränder’, während die gesellschaftliche Mitte als per se demokratischer Gegenpol erscheint. Dagegen wird – z. B. seitens des Politikwissenschaftlers Hans-Gerd Jaschke – argumentiert, dass solche Argumentationsmuster wenig dazu geeignet seien, „tiefergehende Ursachen“ politischer Radikalisierung erfassen zu können.

Rechtsaußenspektrum
Jenseits dieser Kontroverse hat sich der Begriff des Rechtsextremismus im allgemeinen Sprachgebrauch etabliert. Allerdings sind nicht alle rechten Organisationen zugleich ‚extremistisch‘. Die erneute ‚große Regression‘ – der Wiederaufstieg demokratiefeindlicher rechter Kräfte – hat äußerst unterschiedliche Facetten, die mit unterschiedlichen Begrifflichkeiten gefasst werden müssen. Als Oberbegriff bzw. als spektrumsübergreifende Klammer solcher Erscheinungsformen kann der Begriff des Rechtsaußenspektrums dienlich sein. Darunter werden alle Organisationen gefasst, die sich rechts des liberalen und konservativen Parteienspektrums einordnen lassen, ohne dass dadurch eine Aussage hinsichtlich ihres Radikalisierungsgrades getroffen wird.

Rechtsextremismus/extreme Rechte
Der Begriff des Rechtsextremismus kann allgemein als Sammelbegriff für die Bündelung autoritärer, nationalistischer und rassistischer Gesellschaftsvorstellungen verstanden werden. Dessen zentrale Merkmale lassen sich laut dem Politikwissenschaftler Hans-Gerd Jaschke aus der Gesamtheit von Einstellungen, Verhaltensweisen und Aktionen ableiten, „die von der rassisch oder ethnisch bedingten sozialen Ungleichheit der Menschen ausgehen, nach ethnischer Homogenität von Völkern verlangen und das Gleichheitsgebot der Menschenrechts-­Deklaration ablehnen, die den Vorrang der Gemeinschaft vor dem Individuum betonen, von der Unterordnung des Bürgers unter die Staatsräson ausgehen und die den Wertepluralismus einer liberalen Demokratie ablehnen und Demokratisierung rückgängig machen wollen“. Um Anlehnung an die Extremismusforschung zu vermeiden, findet – wie der Politikwissenschaftler Fabian Virchow erläutert – der Begriff ‚extreme Rechte‘ alternative Verwendung. Damit wäre „nicht der ‚Extremismus‘ der primäre Bezugsrahmen, sondern eine weiter zu fassende ‚politische Rechte‘, die gesellschaftliche Hierar­chien und Ungleichheit als unausweichlich und naturhaft gegeben ansieht“. 

Rechtsradikalismus/radikale Rechte
In den 1970er Jahren wurde für verfassungsfeindliche Bestrebungen in den Verfassungsschutzberichten noch der Begriff des ‚Radikalismus‘ verwendet. Dies war irritierend, weil der Begriff des Radikalismus im historischen deutschen Rückblick zunächst von den bürgerlichen Kräften im Vormärz in Anspruch genommen wurde, die mit liberalen und demokratischen Forderungen in Erscheinung traten. Ab 1974 änderte sich die Begrifflichkeit in den Verfassungsschutzberichten und fortan galt dort der ‚Rechtsextremismus‘ als Ausdruck von Verfassungswidrigkeit. Während mittlerweile in der extremismustheoretischen Zuordnung ‚radikal‘ als ‚weichere Form des Extremismus‘ gedeutet wird, erfährt der Begriff ‚rechter Radikalismus‘ auch in Teilen der internationalen Forschung unter anderen Prämissen neue Verwendung: Laut Cas Mudde akzeptiere die ‚radikale Rechte‘ zwar die Kern­elemente der Demokratie, nicht jedoch die grundlegenden Bestandteile der liberalen Demokratie, „insbesondere Minderheitenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung“. 

Neue Rechte
Bei der sogenannten Neuen Rechten handelt es sich um eine Selbstbezeichnung rechter Theoriezirkel, die seit den späten 1960er Jahren eine Modernisierung ihrer politischen Agenda anstrebten. Mittels weltanschaulicher Rückgriffe auf jungkonservative und nationalrevolutionäre Theorien der präfaschistischen Konservativen Revolution aus der Zeit der Weimarer Republik versuchte die Neue Rechte eine Erneuerung völkisch-nationalistischer Politikansätze zu bewirken und zudem eine Radikalisierung des Konservatismus zu entfachen. Angesichts der unterschiedlichen Theo­rieproduktionen aus diesem Spektrum lässt sich von den Neuen Rechten laut Martin Langebach und Jan Raabe der Genauigkeit halber besser im Plural reden.

Rechtspopulismus 
Der konstruierte Gegensatz zwischen Volk und Elite kann laut Oliver Geden als Basiserzählung des Rechtspopulismus verstanden werden. Damit einher geht eine Moralisierung, Emotionalisierung und Personifizierung des Politischen; eine Politik der Angst und der Feindbilder ersetzt die politische Analyse. In antidemokratischer Stoßrichtung ist der Rechtspopulismus nicht auf Diskurs und Pluralismus ausgerichtet, sondern auf Verabsolutierung in „Gut“ und „Böse“, in „Wahrheit“ und „Lüge“, in „Freund“ und „Feind“. Rechtspopulismus ist nach Einschätzung der im letzten Jahr verstorbenen Populismusexpertin Karin Priester zugleich als „exkludierender Anti-Establishment-Protest“ zu begreifen. Versteht man Rechtspopulismus in erster Linie als eine spezifische Form politischer Ansprache und Propaganda, so folgt daraus, dass er sowohl bei Parteien extrem rechten Ursprungs wie auch bei Parteien mit nationalliberalem und/oder nationalkonservativem Ursprung als merkmalsprägend für deren Erscheinungsbild gekennzeichnet werden kann. Der Begriff des Rechtspopulismus dient deshalb in erster Linie zum Verständnis der Funktion und Wirkungsmächtigkeit spezifischer Formen politischer Ansprache. Er ist jedoch begrifflich unterkomplex zur politischen Verortung von Parteien und Bewegungen auf der politischen Links-Rechts-Skala. 

Neonazismus und (Neo-)Faschismus 
Der Neonazismus verkörpert den äußersten Rand des rechtsextremen Spektrums, der sich mehr oder weniger offen positiv auf weltanschauliche Grundmuster des Nationalsozialismus bezieht. Er wird größtenteils durch eine in sogenannten Kameradschaften organisierte Neonazi-Szene repräsentiert, die sich selbst als Nationaler Widerstand begreift. Die neonazistische Szene hat großen Einfluss auf das Parteienspektrum der extremen Rechten. Dazu zählen neben der NPD die Partei Die Rechte und die Partei Der III. Weg. Diese rechtsextremen Bewegungen stehen in Tradition zum historischen Faschismus. Zusammenfassend ist Faschismus als merkmalsprägender Begriff für diejenigen rechtsautoritär orientierten Bewegungen und Parteien zu verwenden, die in ihrer Weltanschauung und Propaganda, ihrem politischen Stil der Selbstinszenierung, in ihrer politischen Praxis, sozialen Ausrichtung und Funktion folgende Merkmale aufweisen: 

(1) Gesellschaftsbild und Propaganda: organische Gesellschaftsauffassung; sozialdarwinistisches, patriarchales, rassistisches/antisemitisches Gesellschafts- und Menschenbild; antikommunistisches, antidemokratisches, antiliberales und autoritäres Politikverständnis; völkisch-nationalistische Untergangsprophezeiungen; Erhebungsversprechen für nationale Erneuerung/„Wiedergeburt“; pseudosozialistische und antimarxistische „Kapitalismuskritik“ 

(2) Politischer Stil: autoritaristische, charismatische Führerherrschaft; patriarchal-soldatisch-militaristische Inszenierung als kämpferischer „Männerbund“; quasireligiöse Ritualisierung nationalistischer Erweckungszeremonien 

(3) Politische Praxis: paramilitärische Organisierung von Partei und Gesellschaftsstrukturen; dynamische, kumulative Radikalisierung; exzessive und strukturelle Gewalt; autoritär-etatistische, pro-kapitalistische, militaristische und imperialistische Stoßrichtung; Radikalisierung des Konservatismus 

(4) Soziale Basis und Funktion: Mittelschichten und Kleinbürger*innen als Kernbasis in der Anfangsphase; Bündnis mit traditionellen Eliten im Übergang zur Machtphase; klassen- und milieuübergreifende Anhängerschaft; klassenübergreifende antidemokratische Mobilisierung; politische Spaltung der Bewegung der Arbeiter*innen; Sicherung kapitalistisch-autoritärer Gesellschaftsstrukturen 

Nutzbarkeit unterschiedlicher Begriffe 
Wie diesen kurzen Erläuterungen zu entnehmen ist, ist der Begriff des rechten Extremismus in der politikwissenschaftlichen Forschung nicht einheitlich, sondern obliegt unterschiedlichen Deutungen. Ebenso weist der Gegenstand – demokratiebedrohende rechte Erscheinungsformen – äußerst unterschiedliche Facetten auf. Daher können die beschriebenen Begriffe zur Differenzierung einer allgemein prognostizierten Gefahr von rechts beitragen. Sie veranschaulichen, dass es unterschiedliche Formen und Gradmesser rechter Radikalisierung gibt, die zusammenfassend wie folgt zur genaueren Beschreibung nutzbar gemacht werden können: 

a) Der Begriff des Rechtsaußenspektrums kann als Oberbegriff zur Beschreibung aller Erscheinungsformen rechts von dem liberalen und konservativen politischen Spektrum dienlich sein.

b) Rechtsextremismus und alternativ dazu die Begriffe ‚extreme‘ oder ‚radikale‘ Rechte verweisen auf die Unterschiede zwischen bewahrend-konservativen und rassistisch-autoritären Zielsetzungen im rechten Denken und kennzeichnen demokratiebedrohende Bestrebungen. 

c) Rechtspopulismus kann als Begriff zur Beschreibung eines spezifischen politischen Agitationsstils hilfreich sein, um die Wirkungsmechanismen rechter Propaganda erfassen und beschreiben zu können. 

d) Der Begriff der Neuen Rechten dient zur Beschreibung von Versuchen zur intellektuellen ‚Modernisierung‘ extrem rechter Denkansätze sowie dem Bestreben, von Rechtsaußen eine politische Brücke zum etablierten Konservatismus und Nationalliberalismus zu schlagen. 

e) Die Begriffe Neonazismus und Neofaschismus dienen zur Verdeutlichung, dass Parallelen und Kontinuitäten zwischen historischen und aktuellen extrem rechten Bestrebungen existieren. Sie verweisen nicht nur auf den Tatbestand, dass es aktuell rechte Kräfte gibt, die sich politisch in die Tradition des Faschismus stellen, sondern auch darauf, dass gesellschaftliche Voraussetzungen des Faschismus nach wie vor existieren, wie es der Philosoph Theodor W. Adorno im Jahr 1959 betont hatte. Der neue ‚Postfaschismus‘, so der Historiker Enzo Traverso, ist eine Mischung aus Autoritarismus, Nationalismus, Konservatismus, Populismus, Fremdenfeindlichkeit und Verachtung des Pluralismus. Die Kenntnis der Vergangenheit ist daher Voraussetzung zum Verständnis der Gegenwart.


Literatur
Adorno, Theodor W. 2019: Aspekte des neuen Rechtsradikalismus. Berlin.

Geden, Oliver 2007: Rechtspopulismus: Funktionslogiken – Gelegenheitsstrukturen – Gegenstrategien. SWP-Studie: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de: 0168-ssoar-245458 

 Häusler, Alexander/Fehrenschild, Michael 2020: Faschismus in Geschichte und Gegenwart. Ein vergleichender Überblick zur Tauglichkeit eines umstrittenen Begriffs. Manuskripte Neue Folge 26, Rosa Luxemburg Stiftung. https://www.rosalux.de/publikation/id/41996/faschismus-in-geschichte-und-gegenwart 

Jaschke, Hans-Gerd 1991: Streitbare Demokratie und innere Sicherheit. Grundlagen, Praxis, Kritik. Opladen. 

Langebach, Martin/Raabe, Jan 2016: Die „neue Rechte“ in der Bundesrepublik Deutschland. In: Virchow, Fabian/Langebach, Martin/Häusler, Alexander (Hg.): Handbuch Rechtsextremismus. Wiesbaden, S. 561–592. 

Mudde, Cas 2019: Rechtsaußen. Extreme und radikale Rechte in der heutigen Politik weltweit. Bonn. 

Priester, Karin 2016: Rechtspopulismus – ein umstrittenes theoretisches und politisches Phänomen. In: Virchow, Fabian/Langebach, Martin/Häusler, Alexander (Hg.): Handbuch Rechtsextremismus. Wiesbaden, S. 533–560. 

Traverso, Enzo 2019: Die neuen Gesichter des Faschismus. Postfaschismus, Identitätspolitik, Antisemitismus und Islamophobie. Köln/Karlsruhe. 

Virchow, Fabian 2016: ‚Rechtsextremismus‘: Begriffe – Forschungsfelder – Kontroversen. In: ders./Langebach, Martin/Häusler, Alexander (Hg.): Handbuch Rechtsextremismus. Wiesbaden, S. 5–41.

Zitation
Häusler, Alexander (2021). Was ist rechts und was extrem? In: POLITIKUM 4/2021, S. 4-8, DOI https://doi.org/10.46499/1760.2184.

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