Der Rezensent

Dr. Marc Partetzke ist Professor für Politikdidaktik und Politische Bildung an der Universität Hildesheim. 

Bücher für den Politikunterricht - POLITIKUM 4/2023

Alexander Gantschow,  Christian Meyer-Heidemann (Hg.): Bürgerbildung und Freiheitsordnung. Politische Bildung als republikorientierte Praxis. Wochenschau Verlag: Frankfurt/M. 2023, 204 Seiten

Trotz aller Differenzierung und Spezialisierung in den vergangenen Jahrzehnten lassen sich als Eckpfeiler der Politikwissenschaft nach wie vor die Bereiche Politisches System, Internationale Beziehungen und Vergleichende Politikwissenschaft ausmachen. Als ein weiterer Bereich gilt die Politische Theorie und Ideengeschichte, die von manchen allerdings nicht als ein Pfeiler, sondern als das eigentliche Fundament der Politikwissenschaft verstanden wird. In nuce zeigt sich hier jedenfalls der integrative (Fraenkel) bzw. synoptische (Bergstraesser) Charakter der Politikwissenschaft, ist die Politische Theorie und Ideengeschichte doch ein von verschiedenen Disziplinen bearbeiteter Wissenschaftsbereich, wobei die Politikwissenschaft mit dem Anspruch auftritt, die jeweils unterschiedlichen disziplinären Ansätze dialektisch zusammenzuführen und auf gegenwärtige politische Probleme und Herausforderungen zu beziehen. Dass etwa Henning Ottmann dafür plädiert, anstelle von Politischer Theorie und Ideengeschichte von Politischem Denken zu sprechen, kommt mithin nicht von ungefähr. Bedauerlicherweise findet eben dieses politische Denken in der heutigen Politikwissenschaft einen nur noch randständigen Platz. Das hat zum einen mit dem Bologna-Prozess zu tun, der v. a. die Politische Theorie und Ideengeschichte vor besonders große Herausforderungen gestellt hat. Zum anderen aber passt eine praktisch-philosophische Theoriekonzeption Hennis’scher Provenienz, für die konstitutiv ist, einen Beitrag zu einer gelingenden Lebensführung leisten zu wollen, kaum noch zu einem ganz überwiegend empirisch-analytischen Selbstverständnis Brecht’scher Couleur. Insofern erscheint Karl-Heinz Breier, dem die hier besprochene Festschrift gewidmet ist, in der Tat „geradezu aus der Zeit gefallen“ (S. 8). Und nicht nur das: Wie seine beiden engsten Schüler treffend festhalten, ist der Gewürdigte auch deshalb ein Vertreter einer inzwischen rar gewordenen Spezies, weil er als Politikwissenschaftler Politische Bildung stets mitgedacht hat und mitdenkt. Ein Kollege, der sich in (s)einem „Objektivitätsanspruch eine normative Enthaltsamkeit auferlegt“ (ebd.), war und ist Karl-Heinz Breier mithin nicht – nicht zuletzt deshalb, weil damit verunmöglicht würde, was für ihn so zentral ist: durch das Nach-Denken über Vor-Denker und ihre Einbeziehung als Mit-Denker „für die praktischen Fragen des Lebens und Zusammenlebens ethisch-politische Orientierung zu geben“ (ebd.), wobei „die republikanischen“ für ihn die „maßgeblichen“ sind (S. 10). Für einen Doktorvater, Kollegen, Weggefährten dieses Formats eine Festschrift aufzulegen, ist kein risikoarmes Unterfangen, spannt der Anspruch des hier Gewürdigten, Bürgerbildung und Freiheitsordnung konstitutiv aufeinander zu beziehen, doch eine Hintergrundfolie auf, an die sowohl der gesamte Band als auch jeder der insgesamt neun Beiträge angelegt werden kann. Und so stellt sich bei der Lektüre denn bisweilen auch der Eindruck ein, dass nicht alle Autor*innen – jedenfalls explizit – Politische Bildung als republikorientierte Praxis im Blick gehabt haben. Gleichwohl legen A. Gantschow und C. Meyer-Heidemann einen überaus lesenswerten Band vor, in dem hoch aktuelle Fragen wie Wer ist das Volk? (B. Zehnpfennig), Was heißt es, ein Politiker zu sein? (M. Fröhlich) oder Sind die Deformationen des politischen Streitens eine Gefahr für die Stabilität der Republik? (J. Detjen) diskutiert werden. Ferner enthält der Band Ausführungen über Die Relativität der Freiheit in der Demokratie (P. Nitschke), Das Unternehmen als Bürger (G. Riescher) und Bildung als Artikulation menschlicher Möglichkeiten (R. Torkler). Dass auch Beiträge zu den Normativen Grundlagen der Politikdidaktik (P. Massing), Zur impliziten Pädagogik im politischen Denken von Hannah Arendt (A. Gantschow) sowie zur Identitätsbildung als Herausforderung der politischen Bildung (C. Meyer-Heidemann) enthalten sind, bestärkt schließlich den Eindruck, bei den einzelnen Ausführungen hätte es sich auch um (Rede-)Beiträge gehandelt haben können, die deren Urheber*innen dem Gewürdigten zu Ehren im Rahmen eines anlässlich seines 65. Geburtstages ausgerichteten Festmahls vorgetragen haben, um sodann mit ihm darüber in den Dialog zu treten. Karl-Heinz Breier hätte dies sicher nicht missfallen und es bleibt zu hoffen, dass er für die Politikwissenschaft, Politikdidaktik und Politische Bildung noch lange Zeit Dialogpartner bleiben wird.
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