Die Autorin

Prof. Dr. Liane Wörner lehrt Strafrecht, Strafprozessrecht, Strafrechtsvergleichung, Medizinstrafrecht und Rechtstheorie und ist Direktorin des Zentrums für Human | Data | Society an der Universität Konstanz, wo sie mit Kolleg*innen sowohl sozialwissenschaftlicher als auch naturwissenschaftlich-technischer Disziplinen gemeinsam inter- und transdisziplinär die Grundlagen einer menschgerechten und menschzentrierten Datengesellschaft erforscht.

„Code (is) creates Law“

Die Datafizierung des Sozialen fordert den Rechtsstaat heraus. Unser Umgang mit der Informationstechnik, ihren Ausfällen und Möglichkeiten bestimmt zunehmend, wie wir miteinander kommunizieren. Dass wir damit die Grundlagen rechtlich demokratischen Miteinanders gefährden, haben wir fast nicht gemerkt. Wir brauchen einen Perspektivwechsel. Nicht die algorithmischen Möglichkeiten und damit verbundene Aussichten auf individuelle Freiheiten dürfen die rechtlichen Regelungen bestimmen, sondern die rechtsstaatlichen Grundwerte die Algorithmen. Das ist unsere gemeinsame Verantwortung. 

Digitalisierung im weiteren Sinne und mit ihr die Datafizierung unserer Umwelten fordern den Rechtsstaat heraus. Warum eigentlich? Unmittelbar einleuchtend ist die oft vorgetragene Behauptung jedenfalls nicht. Der gerade hierzulande viel betonte Rechtsstaat ist doch deshalb so gut aufgestellt, weil er mit ausgehandelten Grundprinzipien subjektive Rechte stärkt und für eine Vielzahl an Fallgestaltungen formulierte Vorgaben trifft, aus denen sich auch Lösungen für unvorhersehbar neue Problemgestaltungen entwickeln lassen. In der Tat, es hat schon hier und dort bereits „gewackelt“: Terrorismus, Organisierte Kriminalität, aber auch Sterbehilfe und Schwangerschaftsabbruch erforder(te)n Neuaushandlungen. Gefährdet schien der Rechtsstaat bisher dennoch nicht. Brodowski (2021) spricht von einer banalen, ja basalen Aussage, wenn er ausführt, dass die moderne Gesellschaft mit der Digitalisierung von der Informationstechnik abhängig geworden sei. Störungen und Angriffe auf diese Technik und darin gespeicherte Daten hätten nicht nur Schäden im Wirtschaftsleben, sondern auch unmittelbar für Leib und Leben zur Folge. Ich würde noch einen Schritt weitergehen. Unser aktueller Umgang mit der Informationstechnik, ihren Störungen, Ausfällen und von ihr ausgehenden Angriffen bestimmt unsere Kommunikation. Dadurch wirkt er unmittelbar real auf Wirtschaft, Leib und Leben, weil wir über die zunehmend digitale Nutzung ständig neue Regelanpassung trainieren statt mögliche und denkbare Verhaltensänderungen. Was eigentlich unseren Rechtsstaat gefährdet, sind wir selbst. Drei Beispiele:

„Technological Self“ – mein virtuelles Ich

Ich beginne vermeintlich unverfänglich mit dem Online-Spiel in der virtuellen Welt – unserem technischen (virtuellen) Ich. Hier erschließt sich nicht sogleich der Zusammenhang mit Rechtsstaat, Recht oder gar Strafrecht. Es ist doch „nur“ virtuell, doch hier wird virtuell gelebt, gehandelt und es werden virtuelle wie reale Straftaten begangen. Die virtuelle Welt von Second Life etwa feierte im Juni 2023 ihren 20. Geburtstag. Bereits vier Jahre vor ihrer Einführung beschrieb Lessig in Codes and other Laws in Cyberspace (1999) die Geschichte der streitenden Nachbarn Martha und Dank in Avatar Space. In aller Kürze: Martha hatte wunderschöne, aber giftige Pflanzen…

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