„Wir müssen den Ressourcenverbrauch drastisch reduzieren“
POLITIKUM: Warum ist eine Nichtregierungsorganisation wie der BUND im Bereich der Ressourcenpolitik aktiv und wie würden Sie den Problemdruck beschreiben?
JACOBS: Der BUND beschäftigt sich seit jeher mit der Frage nach dem Genug und dem Suchen von nachhaltigen Lebens- und Wirtschaftsweisen. Nachhaltigkeit meint in diesem Zusammenhang die intertemporale und globale Gerechtigkeit im Umgang mit den uns zur Verfügung stehenden Ressourcen, die dafür Sorge trägt, dass die Lebensbedingungen auf diesem Planeten dauerhaft und weltweit erhalten bleiben. Mit Studien wie dem „Zukunftsfähigen Deutschland“ haben wir bereits in den 90er Jahren den Nachhaltigkeitsdiskurs stark geprägt. Die Studie kam damals schon zu dem Ergebnis, dass für eine solche Ressourcengerechtigkeit Deutschland seinen Energie- und Materialverbrauch bis zum Jahr 2050 um durchschnittlich 80 bis 90 Prozent reduzieren müsse. Seitdem ist leider nicht viel
passiert. Bzw. das stimmt nicht ganz, denn die uns
zur Verfügung stehende Zeit ist deutlich knapper und
die Umweltkrisen wie Klimawandel und Artensterben
sind deutlich akuter geworden. Außerdem ist die
Ressourcenverschwendung ein Haupttreiber hinter
Artensterben, Klimakrise und Wasserstress. Quetschen
wir unsere Erde weiter aus wie bisher, werden wir die
Auswirkungen dieser Umweltkrisen also niemals eindämmen
können. Denn das ökologische Hauptproblem
ist die Ressourcenverschwendung. Artensterben und
globale Erwärmung sind nur die Symptome. Wenn
wir eine Chance auf eine lebenswerte Zukunft haben
wollen, müssen wir das Problem bei der Wurzel packen
und den Ressourcenverbrauch drastisch reduzieren. Der
Rat für Nachhaltige Entwicklung fordert beispielsweise
die Reduktion des Verbrauchs von abiotischen Primärrohstoffen
auf maximal sechs Tonnen pro Person und
Jahr, bis 2050. Das entspricht einer Reduktion um 85
Prozent zum heutigen Verbrauch. Im gleichen Zeitraum
sollte der Verbrauch der biotischen Stoffe auf maximal
zwei Tonnen pro Person und Jahr gesenkt werden.
POLITIKUM: Hört sich vernünftig an, aber ist das denn
machbar?
JACOBS: Das klingt erst einmal sehr viel und ist auch
eine riesige Herausforderung. Wichtig zu berücksichtigen ist aber, dass es hierbei immer nur um
den Primärverbrauch geht. Also um den Verbrauch
jährlich neu gewonnener Rohstoffe. Ressourcen die
sich einmal im Kreislauf befinden, zählen hier nicht
mit. Außerdem ist der Ressourcenverbrauch sowohl
national als auch global extrem ungleich verteilt und
stark einkommensabhängig. Deswegen müssen wir
auch immer die Frage stellen, wer den Verbrauch wie
viel reduzieren muss. Der Handlungsdruck ist sehr
hoch und er steigt mit jedem weiteren Jahr, das wir
verstreichen lassen, ohne substanziell etwas für den
Ressourcenschutz zu tun.
POLITIKUM: Was genau ist das „Netzwerk Ressourcenwende“
und welche Rolle spielt das bei Ihrer Arbeit?
JACOBS: Das Netzwerk Ressourcenwende ist ein Zusammenschluss
von Akteur*innen aus Zivilgesellschaft
und Wissenschaft im deutschsprachigen Raum. Wir
setzen uns für eben diese global und generationsübergreifend
gerechte Ressourcennutzung im Rahmen der
ökologischen Belastungsgrenzen ein. Dabei orientieren
wir uns am Prinzip der Suffizienz. Das bedeutet, die
oftmals verschwenderische Ressourcennutzung des
globalen Nordens auf ein sozial-ökologisch verträgliches
Maß zu reduzieren. Das Netzwerk soll ein Ort
des systematischen, offenen und transdisziplinären
Austausches sein. Wir wollen gemeinsam wichtige
Querschnitts- und Grundsatzthemen bearbeiten. Ziel
ist es, daraus sachlich fundierte Forderungen abzuleiten
und diese in die entsprechenden Diskurse einzubringen.
Ich habe das Netzwerk seit 2019 aufgebaut und jetzt
koordiniere ich die Netzwerkarbeit. D. h. ich organisiere
die Netzwerktreffen, schaffe die Orte des Austausches,
koordiniere die Arbeitsgruppen des Netzwerkes und
seine Öffentlichkeitsarbeit und kommuniziere die
erarbeiteten Forderungen an Politik und Gesellschaft.
POLITIKUM: Der BUND hat kürzlich ein Gutachten
initiiert, das sich für die Vorlage eines Ressourcenschutzgesetzes
auf Bundesebene ausspricht. Warum
sehen Sie hier Regelungsbedarf?
JACOBS: Die Entwicklungen der vergangenen Jahre
zeigen diesen Regelungsbedarf deutlich auf, denn die
bisherigen politischen Bemühungen im Ressourcenschutz
sind komplett ins Leere gelaufen. Politische
Maßnahmen, wie das Kreislaufwirtschaftsgesetz
oder das Ressourceneffizienzprogramm, haben nicht zu einer Senkung des Verbrauchs geführt. Es fehlen
verbindlichen Ziele für den Ressourcenschutz und
das sowohl national als auch auf europäischer Ebene.
Darüber hinaus gibt es keinen rechtlichen Rahmen,
der die Voraussetzungen für die nötige drastische
Reduktion des Ressourcenverbrauchs schaffen könnte.
Auch internationale und völkerrechtlich verbindliche
Ressourcenschutzziele, vergleichbar mit denen des
Pariser Abkommens zum Klimaschutz, fehlen bisher
komplett. Deswegen ist es umso wichtiger, dass die
Bundesregierung hier vorangeht und das im Koalitionsvertrag
festgelegte Ziel, den Ressourcenverbrauch
zu senken und die rechtlichen Rahmenbedingungen
entsprechend anzupassen, mit Substanz füllt. Aus
unserer Sicht, laut dem erwähnten Gutachten und laut
wissenschaftlichen Veröffentlichungen dazu, bietet
sich dafür ein Ressourcenschutzgesetz an. Vergleichbar
mit dem Klimaschutzgesetz bietet es die Möglichkeit,
wesentliche Aspekte des Ressourcenschutzrechts „vor
die Klammer zu ziehen“, und regelt die zentralen Fragen
des Ressourcenschutzes. Dabei überlässt es den
verschiedenen Sektoren, parallel sektorspezifische
Fachregelungen zu erlassen bzw. bestehende Regelungen
anzupassen. Somit ist es vergleichsweise einfach
umsetzbar und hat sowohl symbolische Strahlkraft als
auch politische Wirksamkeit. Auf diesem Weg kann
ein Ressourcenschutzgesetz Aufgaben, Grundsätze
und Ziele des Ressourcenschutzes festlegen, aber
die bereichsspezifischen Konkretisierungen dieser
Vorgaben in den jeweiligen Gesetzen des Planungs-,
Umwelt- und Wirtschaftsrechts belassen. Das erwähnte
Rechtsgutachten kommt zu dem Schluss,
dass Art. 20a des Grundgesetzes dazu verpflichtet,
einen verbindlichen Rechtsrahmen für den Schutz der
Ressourcen zu schaffen, da dieser durch die aktuelle
Rechtslage nicht gewährleistet wird. Hierfür bietet
sich laut Gutachten ein Ressourcenschutzgesetz in
Form eines übergreifenden Rahmengesetzes an. Das
Gutachten zeigt auf, welche wesentlichen Inhalte in
einem solchen Gesetz geregelt werden sollten, identifiziert
offene Fragestellungen und liefert konkrete
Formulierungsvorschläge.
POLITIKUM: Wie sollte dieses Gesetz denn genau
ausgestaltet werden?
JACOBS: Wichtig ist, dass es messbare Ressourcenschutzziele
inklusive Bezugs- und Erreichungsjahr,
Reduktionspfad, Monitoring, Sanktionen und Berichtspflichten
verbindlich festschreibt. Aus den übergeordneten
verbindlichen Reduktionsziele können Zwischenund
Ressortziele abgeleitet werden. Darüber hinaus ist
ein wichtiger Bestandteil die Ressourcenschutzplanung.
Hierdurch würde die Bundesregierung dazu verpflichtet
werden, ein Programm mit Maßnahmen zu erlassen.
Dieses Ressourcenschutzprogramm kann damit das
zentrale Umsetzungsinstrument darstellen, welches
sicherstellt, dass die Ressourcenschutzziele erreicht
werden. Vergleichbar zum Klimaschutzgesetz könnte
auch hier ein Nachsteuerungsmechanismus in Form
von Sofortprogrammen implementiert werden. Diese
würden greifen, wenn das Ressourcenschutzprogramm
nicht dazu geführt hat, dass die Reduktion des Ressourcenverbrauchs
auf Zielerreichungskurs ist.
POLITIKUM: Was genau ist mit Ressourcenschutzplanung
gemeint? Klingt wie ein Bürokratiemonster …
Geht sowas überhaupt in einer marktwirtschaftlichen
Wirtschaftsordnung?
JACOBS: Eine Zielsetzung für die Reduktion des Primärrohstoffverbrauchs,
verbunden mit einem klaren
und verbindlichen Reduktionspfad, ist enorm wichtig.
Gleichzeitig reicht ein Ziel alleine ja noch nicht aus,
um dieses auch zu erreichen. Um also die Gefahr der
Implementierung eines neuen Gesetzes ohne Verbindlichkeit
und damit die Geburt eines „zahnlosen Tigers“
zu verhindern, sind – laut Gutachten – Umsetzungsinstrumente
zwingend im Gesetz vorzusehen. Die
Konkretisierung und Operationalisierung der Zielsetzungen
kann der Bundesregierung mit der Pflicht zum
Erlass von Ressourcenschutzprogrammen übertragen
werden. In diesen muss die Bundesregierung dann festlegen,
welche Maßnahmen sie innerhalb welcher Frist
zur Erreichung der nationalen Ressourcenschutzziele
ergreifen will. Auch beim Klimaschutzgesetz gibt es
die Pflicht zur Erstellung eines Klimaschutzprogramms.
Möglich ist dies also durchaus.
POLITIKUM: Was könnte man denn vom Klimaschutzgesetz
lernen?
JACOBS: Das Klimaschutzgesetz hat gezeigt, dass erst
ein solcher Governance-Rahmen gewährleistet, dass
Politikinstrumente mit einer größeren Eingriffstiefe priorisiert
werden, d. h. es stehen nicht mehr – wie bisher
– Informations-, Beratungs- und Förderinstrumente im
Fokus, sondern ambitioniertere Instrumente wie Umweltsteuern,
Ordnungspolitik oder Subventionsabbau.
Diese haben das Potenzial den Ressourcenverbrauch
wirklich zu senken. Außerdem wird verbunden mit
einem klaren und rechtlich verbindlichen Reduktionspfad
erstmalig deutlich, wie viele Ressourcen uns
überhaupt noch zur Verfügung stehen. Erst auf dieser
Grundlage können wir in Zukunft priorisieren. Aktuell
gleichen die bundesweit geltenden Gesetze und
Fachregelungen, Programme und Strategien einem
Flickenteppich. Dies hat zu einem zersplitterten und
widersprüchlichen Ressourcenschutzrecht geführt,
mit dem die übergeordneten Ziele der Reduktion des
Ressourcenverbrauchs nicht zu erreichen sind.
POLITIKUM: Wenn das Klimaschutzgesetz in Deutschland
Vorbild für ein Ressourcenschutzgesetz ist, dann
kann das ja auch bedeuten, dass man eher frustriert zur
Kenntnis nehmen muss, dass trotz aller Bemühungen
ein wirklicher Fortschritt nicht erkennbar ist. Wie gehen
Sie damit um? Anders formuliert: Glauben Sie daran,
dass ein nachhaltiges Wirtschaften und eine drastische
Reduzierung des Ressourcenverbrauchs möglich ist?
JACOBS: Natürlich können wir durch das Klimaschutzgesetz
noch keinen Haken hinter das Thema Klimaschutz
machen. Es ist aber trotzdem ein wichtiger
Ansatzpunkt für die Zivilgesellschaft konsequenteren
Klimaschutz einzufordern und hat zu deutlich ambitionierteren
Maßnahmen geführt. Diese reichen freilich
noch nicht aus. Einen vergleichbaren Rechtsrahmen im
Ressourcenschutz zu haben, wäre jedoch ein riesiger
Fortschritt. Darüber hinaus braucht es natürlich einen
tiefgreifenden Wandel, nämlich ein neues Verständnis
von Wohlstand und Wachstum. Dafür müssen
wir unsere Produktions- und Konsummuster sowie
zugrundeliegende Machtstrukturen hinterfragen und
verändern. Dies wird langfristig nicht gehen ohne
grundlegende Veränderungen des institutionellen
Gefüges bezüglich Eigentum, Zugang, Verteilung und
Demokratisierung. Um diesen Wandel einzuleiten, ist
aus unserer Sicht das Ressourcenschutzgesetz jedoch
ein wichtiger erster Schritt.
POLITIKUM: Wie sehen Sie die Umsetzungschancen
einer echten Ressourcenwende in Deutschland und
warum hat die derzeitige Ampelkoalition Ihre Überlegungen
nicht bereits in ihrem Koalitionsvertrag
aufgenommen? Es gibt ja immerhin bereits Arbeiten an
einer nationalen Kreislaufstrategie, die doch eigentlich
in eine ganz ähnliche Richtung geht, oder?
JACOBS: Im Koalitionsvertrag steht: „Wir haben das
Ziel der Senkung des primären Rohstoffverbrauchs
und geschlossener Stoffkreisläufe. Hierzu passen wir
den bestehenden rechtlichen Rahmen an, definieren
klare Ziele.“ Die Bundesregierung hat begonnen die erwähnte nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie zu
erarbeiten. Damit hat sie sich auf den Weg gemacht,
den Ressourcenverbrauch zu reduzieren. Dies kann
jedoch nur der erste Schritt sein, auf den viele weitere
Folgen müssen. Denn eine Strategie allein kann
nicht die notwendige Verbindlichkeit schaffen, um
den absoluten Primärrohstoffverbrauch auf eine sozial
gerechte und verträgliche Ressourcennutzung zu
reduzieren. Damit die Vision, Leitprinzipien und Ziele
einer Kreislaufwirtschaft umgesetzt werden können,
braucht es einen rechtlichen Rahmen in Form eines
Ressourcenschutzgesetzes. Dieses wird in dieser Legislaturperiode
sehr wahrscheinlich nicht mehr kommen. Daher fordert der BUND von der Bundesregierung als
ersten Schritt, die Überarbeitung des Rechtsrahmens
und Ressourcenschutzziele zur Senkung des Ressourcenverbrauchs
als zentrale Bestandteile in die nationale
Kreislaufwirtschaftsstrategie aufzunehmen.
POLITIKUM: Das wäre dann eine echte und die von
Ihnen geforderte Wende?
JACOBS: Auf der übergeordneten Ebene bleibt uns mittel-
bis langfristig gar keine andere Wahl als eine echte
Ressourcenwende. Noch haben wir jedoch die Wahl,
ob wir diese große Transformation aktiv mitgestalten
und alles dafür geben, dass die Verluste so gering wie
möglich bleiben, oder ob uns die aktuellen multiplen
Krisen irgendwann dazu zwingen. Die Frage ist also:
Wollen wir eine Transformation by design oder by
disaster? Erneuerbare Ressourcen wie Ackerland und
Wasser sind jetzt schon knapp. Ebenso nachhaltig
bereitgestellte nicht-erneuerbare Rohstoffe. Denn die
Förderung und Bereitstellung von Ressourcen sind mit
enormen Umweltschäden und häufig mit Menschenrechtsverletzungen
verbunden. Das anhaltende Streben
nach Wirtschaftswachstum und damit der anhaltende
exzessive Verbrauch würde weitere Umweltschäden
und soziale Ungerechtigkeiten nach sich ziehen und
Konflikte auf lokaler wie globaler Ebene verschärfen.
Die aktuellen Verwerfungen auf globalen Energieund
Rohstoffmärkten sowie die Welternährungskrise
wären dann nur ein kleiner Vorgeschmack. Aus Sicht
des BUNDs ist es deswegen notwendig, eine systematische
Transformation zu organisieren, welche zur
absoluten Reduktion des Ressourcenverbrauchs führt
und zugleich solidarisch und sozial ausgestaltet ist. Das Ressourcenschutzgesetz ist nur ein erster, aber
sehr wichtiger Schritt.
POLITIKUM: Lassen sich solche Themen überhaupt
national angehen oder braucht es nicht vielmehr
europarechtliche bzw. besser noch internationale
Regelungen? Sind diese in Sicht?
JACOBS: Wie bereits erwähnt, müssen wir aufhören
ständig mehr Energie und materielle Ressourcen zu
verbrauchen. Langfristig wird dies nur möglich sein,
wenn sich einerseits die globale Wirtschaft vom
ökonomischen Wachstumsmodell verabschiedet und
neue Leitbilder für Wohlstand und wirtschaftlichen
Erfolg schafft und andererseits die Verteilungskrise
überwunden wird. Natürlich braucht es dafür, wie beim
Klimaschutz auch, die gesamte Weltgemeinschaft.
Leider fehlen , wie erwähnt, völkerrechtlich verbindliche
Abkommen, vergleichbar mit dem Paris-Abkommen im
Klimaschutz, komplett. Umso wichtiger ist es, dass wir
hier auf nationaler Ebene vorangehen. Die Entwicklungen
rund um das Thema Lieferkettengesetz haben auch
gut gezeigt, dass nationale auch europäische Initiativen
nach sich ziehen können. Außerdem haben wir als
reiche Industrienation aus Gerechtigkeitsperspektive
durch unsere historischen Verbräuche die Pflicht, als
erste und möglichst ambitioniert alles dafür zu tun,
den nationalen Ressourcenverbrauch zu senken.
POLITIKUM: Herr Jacobs, ich danke Ihnen für das
Gespräch!