Die Autorin

Silvia Monetti ist Politikwissenschaftlerin, leitet das Team Ernährungsarmut der Verbraucherzentrale NRW e. V. und promoviert zum Thema Ernährungspolitik und Gerechtigkeit an der Universität Freiburg.

Ernährungsarmut in Deutschland

Es kann nicht sein, was nicht sein darf

Ernährungsarmut ist Alltag für Millionen Menschen in Deutschland, einem der reichsten Länder der Welt. Doch sie wird von Politik und Gesellschaft immer noch weitgehend übersehen. Drei Herangehensweisen prägen den Umgang damit: Negierung, Fokussierung auf die individuelle Ernährungsverantwortung der Betroffenen und Delegierung an den ehrenamtlichen Sektor. Diese „Strategien“ gehen an der Realität vorbei; vielmehr sollten die Rahmenbedingungen adressiert werden.

Ernährungsarmut – weitaus mehr, als der Begriff vermuten lässt

Ernährungsarmut bezeichnet eine qualitativ oder quantitativ unzureichende Deckung des Nahrungsmittelbedarfs, verursacht von einem Mangel an finanziellen Mitteln zum Erwerb von Nahrungsmitteln oder an Nahrungsmitteln selbst. Zudem stellt Essen in jeder Gesellschaftsform einen essenziellen Teilhabemechanismus dar – aus diesem Grund gehen die Konsequenzen von Ernährungsarmut weit über materielle Einschränkungen hinaus und es wird zwischen materieller und sozialer Ernährungsarmut unterschieden. Denn wenn der Geburtstagskuchen oder der Kantinenbesuch aus finanziellen Gründen nicht möglich sind, bedeutet dies soziokulturelle Ausgrenzung (WBAE 2023). Unterernährung ist in Deutschland zwar selten; Fehlund Mangelernährung sind jedoch relativ weit verbreitet. Vor allem Kinder und Jugendliche weisen punktuelle Mängel in der Versorgung mit Mikronährstoffen auf. 

Dieser sogenannte „versteckte Hunger“ (hidden hunger), den man Menschen nicht ansieht, geht häufig mit Übergewicht und Adipositas einher, die wiederum über die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung betreffen. Daraus ergibt sich eine „Doppelbelastung“ (double burden), die sogar zu einer „dreifachen Belastung“ (triple burden of malnutrition) wird, wenn man das gan- Ernährungsarmut ist Alltag für Millionen Menschen in Deutschland, einem der reichsten Länder der Welt. Doch sie wird von Politik und Gesellschaft immer noch weitgehend übersehen. Drei Herangehensweisen prägen den Umgang damit: Negierung, Fokussierung auf die individuelle Ernährungsverantwortung der Betroffenen und Delegierung an den ehrenamtlichen Sektor. Diese „Strategien“ gehen an der Realität vorbei; vielmehr sollten die Rahmenbedingungen adressiert werden. ze Bild betrachtet (Biesalski 2020). Denn der Begriff bezieht sich auf das gleichzeitige Vorhandensein von Unterernährung, Mikronährstoffmangel und Überernährung, wie sie vor allem in Bevölkerungsgruppen mit niedrigem sozioökonomischem Status zu finden sind. Ernährungsarmut liegen verschiedene Ursachen zugrunde, die häufig in Kombination miteinander auftreten:
  • finanzielle Armut, die in mangelndem Zugang zu gesunden Lebensmitteln resultiert,
  • unvorteilhafte Ernährungsgewohnheiten, die unter anderem aufgrund von mangelnden…

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