Gesunde Ernährung politisch lenken?
Eine kurze Geschichte von der Zuckersteuer zur Resignation
Ein gesünderes Leben ist national und international zum
politischen Anliegen geworden. Instrumente sind unter anderem
die Zuckersteuer, aber auch Fleischsteuern
oder zahlreiche
verpflichtende oder freiwillige Labels. Der Blick auf Gesundheit
weitet sich vom Menschen auf den Planeten, die Forschung
verfolgt neue, interdisziplinäre Ansätze wie „One Health“,
„Global Health“ oder „Planetary Health“. Doch inwieweit kann
Politik überhaupt den Speiseplan der Menschen ändern?
Der Handlungsspielraum der Politik liegt irgendwo
zwischen dem öffentlichen Interesse an einem besseren
Leben und der Welt so, wie sie ist. Die Welt der
Ernährungspolitik ist reich an öffentlichen Anliegen:
Klimaneutralität, Tierschutz, Tierwohl, Gesundheit.
Die Ernährungswelt lässt sich gedanklich unterteilen.
Da wäre einmal: eine mit Ernährungsfragen befasste
Fachwelt, also Fachleute der wissenschaftsbasierten
Ernährung(sforschung). Zweitens: die essenden
und trinkenden Menschen im Allgemeinen. Beide
Gruppen orientieren ihr Denken und Handeln entlang
von je unterschiedlichen Koordinatensystemen.
Der professionell-wissenschaftliche Blick der Gesundheits-
und Ernährungs-Fachleute ist empirisch
und evidenzbasiert. Er fragt nach Ursache und Wirkung.
Je nachdem, welche sozialpsychologischen
oder genetischen Variablen er in einem Fragebogen
berücksichtigt, findet er mehr oder weniger große
Einflüsse des Verzehrs salziger, fettiger, süßer Nahrungsmittel
auf Körpergewicht, Blutzucker, ernährungsbezogene
Krankheiten wie Adipositas. Und man
weiß: 63 Milliarden Euro kostet allein Adipositas in
Deutschland die Allgemeinheit (direkte Behandlungsund
indirekte Folgekosten). Sie ist ein globales Problem,
stark auch in den Schwellenländern wie Brasilien
oder in urbanen Zentren Afrikas. Bis 2050 werden
laut Rechnung der OECD rund 8 Prozent der globalen
Kosten des Krankensystems auf Adipositasfolgen
entfallen. Diese Zahlen fasst die Deutsche Adipositas-
Gesellschaft zusammen.
Wenn die Menschen sich streng nach Lehrbuch ernähren
würden, oder zumindest nach der Ernährungspyramide
der DGE, wären diese Probleme weniger
dringend.
Dass sie das nicht tun, ist bekannt. Etwas
salopp formuliert liegt das daran, dass der Mensch ein emotionales Wesen ist. Das Essen hat zum Beispiel
Erinnerungswerte. Das Hirschgulasch kann ein
Traditionsanker an Kindheitserinnerungen sein, die
Sahnetorte vielleicht gar eine irrationale Ekstase.
Es gibt kompensatorischen Konsum von Süßem,
Fettigem und Alkoholhaltigem. Die Speise und der
Trank des Ungesunden folgt – auch jenseits ihres
Suchtpotenzials – Parallel-Logiken, an denen schon
die Prohibition von Alkohol der 1920er Jahre in Amerika
gescheitert ist. Das Essen, das Trinken haben tröstende,
identitätsstiftende, vielleicht auch bewusst in
Kauf genommene destruktive Elemente.
Die kulturwissenschaftliche Forschung,…
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