Der Autor

Prof. Dr. Jan Grossarth lehrt Bioökonomie und Ressourcen an der Hochschule Biberach.

Gesunde Ernährung politisch lenken?

Eine kurze Geschichte von der Zuckersteuer zur Resignation

Ein gesünderes Leben ist national und international zum politischen Anliegen geworden. Instrumente sind unter anderem die Zuckersteuer, aber auch Fleischsteuern oder zahlreiche verpflichtende oder freiwillige Labels. Der Blick auf Gesundheit weitet sich vom Menschen auf den Planeten, die Forschung verfolgt neue, interdisziplinäre Ansätze wie „One Health“, „Global Health“ oder „Planetary Health“. Doch inwieweit kann Politik überhaupt den Speiseplan der Menschen ändern?

Der Handlungsspielraum der Politik liegt irgendwo zwischen dem öffentlichen Interesse an einem besseren Leben und der Welt so, wie sie ist. Die Welt der Ernährungspolitik ist reich an öffentlichen Anliegen: Klimaneutralität, Tierschutz, Tierwohl, Gesundheit. Die Ernährungswelt lässt sich gedanklich unterteilen. Da wäre einmal: eine mit Ernährungsfragen befasste Fachwelt, also Fachleute der wissenschaftsbasierten Ernährung(sforschung). Zweitens: die essenden und trinkenden Menschen im Allgemeinen. Beide Gruppen orientieren ihr Denken und Handeln entlang von je unterschiedlichen Koordinatensystemen. Der professionell-wissenschaftliche Blick der Gesundheits- und Ernährungs-Fachleute ist empirisch und evidenzbasiert. Er fragt nach Ursache und Wirkung. Je nachdem, welche sozialpsychologischen oder genetischen Variablen er in einem Fragebogen berücksichtigt, findet er mehr oder weniger große Einflüsse des Verzehrs salziger, fettiger, süßer Nahrungsmittel auf Körpergewicht, Blutzucker, ernährungsbezogene Krankheiten wie Adipositas. Und man weiß: 63 Milliarden Euro kostet allein Adipositas in Deutschland die Allgemeinheit (direkte Behandlungsund indirekte Folgekosten). Sie ist ein globales Problem, stark auch in den Schwellenländern wie Brasilien oder in urbanen Zentren Afrikas. Bis 2050 werden laut Rechnung der OECD rund 8 Prozent der globalen Kosten des Krankensystems auf Adipositasfolgen entfallen. Diese Zahlen fasst die Deutsche Adipositas- Gesellschaft zusammen. Wenn die Menschen sich streng nach Lehrbuch ernähren würden, oder zumindest nach der Ernährungspyramide der DGE, wären diese Probleme weniger dringend. 

Dass sie das nicht tun, ist bekannt. Etwas salopp formuliert liegt das daran, dass der Mensch ein emotionales Wesen ist. Das Essen hat zum Beispiel Erinnerungswerte. Das Hirschgulasch kann ein Traditionsanker an Kindheitserinnerungen sein, die Sahnetorte vielleicht gar eine irrationale Ekstase. Es gibt kompensatorischen Konsum von Süßem, Fettigem und Alkoholhaltigem. Die Speise und der Trank des Ungesunden folgt – auch jenseits ihres Suchtpotenzials – Parallel-Logiken, an denen schon die Prohibition von Alkohol der 1920er Jahre in Amerika gescheitert ist. Das Essen, das Trinken haben tröstende, identitätsstiftende, vielleicht auch bewusst in Kauf genommene destruktive Elemente. Die kulturwissenschaftliche Forschung,…

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