Interview mit Benedikt Stuchtey
POLITIKUM: Wir wollen über das schwierige Erbe der kolonialen Vergangenheit sprechen. Im Zuge der Black Lives Matter-Bewegung ist es ja auch zum Bildersturm und zum Denkmalsturz gekommen. Inwieweit hat diese Bewegung auch in Deutschland zu einer Veränderung des Diskurses geführt?
Stuchtey: Die Frage halte ich für sehr wichtig, weil sie den transnationalen Kontext berührt und die deutsche Kolonialgeschichte sich nicht in einem Vakuum, sondern in ihren globalen Verbindungen bewegt hat. Ich denke, die Black Lives Matter-Bewegung oder die in Großbritannien ebenfalls sehr präsente Rhodes must Fall-Debatte, die ähnlich wie in Südafrika durch die zentrale Figur von Cecil Rhodes initiiert wurde, aber weit über seine umstrittene Person hinausführt, gibt unter anderem für Fragen der Denkmalstürze den Anstoß. Wie gehen wir mit ehemaligen Imperialisten um, die wie Rhodes viel persönlichen Profit aus dem kolonialen Empire bezogen haben, aber zu Namensgebern für Stipendien wurden? Welche Personen in der deutschen Kolonialgeschichte lassen sich damit vergleichen? In jüngerer Zeit hat die deutsche Kolonialgeschichte eine besondere Triebkraft erhalten, aber es ist keineswegs so, dass man sich nicht schon seit vielen Jahrzehnten mit ihr befasst hätte. Es gibt, um nur einen Namen zu nennen, die Arbeiten des Schweizer Afrikahistorikers Albert Wirz seit den frühen 1970er Jahren, und in der Gegenwart sind die Schriften unter anderem von Sebastian Conrad sicherlich maßgebend.
Eine neue Dynamik hat die Entwicklung erfahren, seit sie stärker in die Öffentlichkeit hineinwirkt und von dieser wahrgenommen wird – in den Medien, in der Museumslandschaft oder in der städtischen Kultur. Wie sollen Straßen oder Gebäude benannt bzw. umbenannt werden? Das Interessante daran ist, dass durch die Black Lives Matter-Debatte, aber nicht nur durch diese, diese Phänomene auch in Deutschland stärker reflektiert werden und man sich zunehmend fragt, wie die deutsche Kolonialgeschichte in die Gegenwart hineinwirkt. Eine koloniale Vergangenheit, die zwar kürzer gewesen ist als die der Briten, Franzosen oder Portugiesen, aber deshalb keineswegs weniger Gewalt, Krieg, Vertreibung, Misswirtschaft, unfassbare Auswirkungen auf die Ökosysteme der Natur und vieles mehr produzierte. Das höchst umstrittene Erbe der kolonialen Vergangenheit ist also präsent, nicht zuletzt durch seine hierarchischen Strukturen und Asymmetrien, die in den globalen der Gegenwart nachwirken. Dekolonisation heißt nicht, der Kolonialismus sei überwunden. Wichtig erscheint es mir, dass man die Vernetzungen sieht. Einerseits gab es die nationalen, ja nationalistischen imperialen Stoßrichtungen aller europäischen und ebenso nicht-europäischen Imperialismen, etwa des japanischen. Andererseits sind die Phänomene transnational, wenn nicht global in ihrer Dekolonisationsphase miteinander verflochten. Die kolonialgeschichtliche Frage gewinnt jetzt in den Bezügen, in denen…
Weiterlesen mit POLITIKUM+
Lesen Sie diesen und alle weiteren Beiträge aus Politikum im günstigen Abonnement.
Mit Ihrem Abonnement erhalten Sie die vier gedruckten Politikum-Ausgaben im Jahr sowie vollen Zugriff auf alle Politikum+ Beiträge des Online-Angebots.
Jetzt abonnieren
Sie haben Politikum bereits abonniert?
Jetzt anmelden