Der Autor

Oliver Huizinga ist Abteilungsleiter Prävention beim AOK-Bundesverband.

Kinderschutz: Werbeschranken für ungesunde Lebensmittel sind überfällig

Die allgegenwärtige Werbung für ungesunde Lebensmittel trägt groß angelegten Studien zufolge zur Fehlernährung von Kindern bei. Bundesernährungsminister Cem Özdemir möchte dem ein Ende setzen, doch die Lebensmittellobby wehrt sich mit Händen und Füßen. Scheitert der Kinderschutz an Partikularinteressen?

Kinder und Jugendliche essen mehr als doppelt so viele Süßwaren und Snacks, aber nur halb so viel Obst und Gemüse wie empfohlen (RKI 2020). Das ist keine Petitesse. Übergewicht und Adipositas stellen ein zentrales Gesundheitsproblem dar, die WHO spricht von einer globalen Epidemie. Ernährungsmitbedingte Krankheiten sind die führende Ursache für Lebensjahre mit Krankheit (Institute for Health Metrics and Evaluation 2019). Laut der OECD kann etwa jeder siebte Todesfall auf eine ungesunde Ernährung zurückgeführt werden (OECD 2020). Wirksame Maßnahmen zur Förderung gesunder Ernährung sind daher essentiell, um unsere sozialen Sicherungssysteme aufrechtzuerhalten. Soweit sind sich (fast) alle einig. Gestritten wird darüber, welche konkreten Maßnahmen ergriffen werden sollen.

Credo: Gesunde Wahl zur einfachen Wahl machen

In der politischen Debatte um ernährungsmitbedingte Krankheiten wird oft die individuelle Verantwortung betont, die Rolle der Umgebungsfaktoren jedoch unterschätzt. Dabei belegt die Verhaltensforschung der letzten Jahrzehnte: Die Ernährungsumgebungen – dazu gehören die Kennzeichnung, die Rezepturen, die Werbung, die Preise – beeinflussen die individuellen Entscheidungen maßgeblich (Swinburn u. a. 2013). Damit die Ernährungswende gelingt, müssen wir vor allem bei diesen Umgebungsfaktoren ansetzen, die „gesunde Wahl zur einfacheren Wahl machen“. Nach Einschätzung der WHO wären fiskalische Interventionen und Werbebeschränkungen für Ungesundes essentiell (WHO 3.5.2022). Doch genau um diese Instrumente wird am stärksten gerungen. Das zeigt sich in der aktuellen Debatte um das Kinderlebensmittel- Werbegesetz (KLWG), das Kinder vor Werbung für Ungesundes schützen soll.

Kinderschutz: Die haltlosen Gegenargumente der Lobbyverbände

Seit Bundesernährungsminister Cem Özdemir im Februar 2023 seine Eckpunkte für das KLWG vorgestellt hat, vergeht kaum eine Woche ohne ein neues Auftragsgutachten, eine neue Anzeigenkampagne oder einen offenen Brief durch Gegner des Vorhabens. Die Verbände der Lebensmittel, Werbe- und Medienwirtschaft kämpfen vereint gegen eine wirksame Ausgestaltung der geplanten Regeln. Bei Licht betrachtet halten die Gegenargumente der Verbände einer fachlichen Überprüfung nicht stand. Die Branchenoffensive ist auf heißer Luft gebaut.

Argument 1: Die angeblich unzureichende Evidenz
In zahlreichen systematischen Übersichtsarbeiten und Meta-Analysen konnte belegt werden, dass Lebensmittelwerbung die Vorlieben, die Auswahl, das Ess- und…

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