Kinderschutz: Werbeschranken für ungesunde Lebensmittel sind überfällig
Die allgegenwärtige Werbung für ungesunde Lebensmittel
trägt groß angelegten Studien zufolge zur Fehlernährung von
Kindern bei. Bundesernährungsminister
Cem Özdemir möchte
dem ein Ende setzen, doch die Lebensmittellobby wehrt
sich mit Händen und Füßen. Scheitert der Kinderschutz an
Partikularinteressen?
Kinder und Jugendliche essen mehr als doppelt so
viele Süßwaren und Snacks, aber nur halb so viel Obst
und Gemüse wie empfohlen (RKI 2020). Das ist keine
Petitesse. Übergewicht und Adipositas stellen ein
zentrales Gesundheitsproblem dar, die WHO spricht
von einer globalen Epidemie. Ernährungsmitbedingte
Krankheiten sind die führende Ursache für Lebensjahre
mit Krankheit (Institute for Health Metrics and
Evaluation 2019). Laut der OECD kann etwa jeder
siebte Todesfall auf eine ungesunde Ernährung zurückgeführt
werden (OECD 2020). Wirksame Maßnahmen
zur Förderung gesunder Ernährung sind daher
essentiell, um unsere sozialen Sicherungssysteme
aufrechtzuerhalten. Soweit sind sich (fast) alle einig.
Gestritten wird darüber, welche konkreten Maßnahmen
ergriffen werden sollen.
Credo: Gesunde Wahl zur
einfachen Wahl machen
In der politischen Debatte um ernährungsmitbedingte
Krankheiten wird oft die individuelle Verantwortung
betont, die Rolle der Umgebungsfaktoren jedoch
unterschätzt. Dabei belegt die Verhaltensforschung
der letzten Jahrzehnte: Die Ernährungsumgebungen –
dazu gehören die Kennzeichnung, die Rezepturen, die
Werbung, die Preise – beeinflussen die individuellen
Entscheidungen maßgeblich (Swinburn u. a. 2013).
Damit die Ernährungswende gelingt, müssen wir vor
allem bei diesen Umgebungsfaktoren ansetzen, die
„gesunde Wahl zur einfacheren Wahl machen“. Nach
Einschätzung der WHO wären fiskalische Interventionen
und Werbebeschränkungen für Ungesundes
essentiell (WHO 3.5.2022). Doch genau um diese Instrumente
wird am stärksten gerungen. Das zeigt sich
in der aktuellen Debatte um das Kinderlebensmittel-
Werbegesetz (KLWG), das Kinder vor Werbung für
Ungesundes schützen soll.
Kinderschutz: Die haltlosen
Gegenargumente der Lobbyverbände
Seit Bundesernährungsminister Cem Özdemir im
Februar 2023 seine Eckpunkte für das KLWG vorgestellt
hat, vergeht kaum eine Woche ohne ein neues
Auftragsgutachten, eine neue Anzeigenkampagne
oder einen offenen Brief durch Gegner des Vorhabens.
Die Verbände der Lebensmittel, Werbe- und
Medienwirtschaft kämpfen vereint gegen eine wirksame
Ausgestaltung der geplanten Regeln. Bei Licht
betrachtet halten die Gegenargumente der Verbände
einer fachlichen Überprüfung nicht stand. Die Branchenoffensive
ist auf heißer Luft gebaut.
Argument 1:
Die angeblich unzureichende Evidenz
In zahlreichen systematischen Übersichtsarbeiten
und Meta-Analysen konnte belegt werden, dass Lebensmittelwerbung
die Vorlieben, die Auswahl, das
Ess- und…
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