Im Interview

Jan Urhahn leitet das Programm Ernährungssouveränität bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung und lebt in Johannesburg/Südafrika. Das Interview für POLITIKUM führte Ina Schildbach.

Mit Grüner Revolution den Hunger beenden?

POLITIKUM: Während in Deutschland die meisten Menschen ausreichend zu essen haben, ist in vielen Ländern des Globalen Südens der Zugang zu ausreichendem Essen nicht gegeben. Manchmal leben Menschen in absoluter Armut und können sich ihr Essen nicht leisten, sie hungern. Sie beschäftigen sich mit Ernährungssouveränität. Können Sie uns einleitend kurz darlegen, was darunter zu verstehen ist?

Jan Urhahn: Zunächst einmal unterscheidet sich das Konzept der Ernährungssouveränität vom Konzept der Ernährungssicherheit. Ernährungssicherheit ist laut dem Aktionsplan des Welternährungsgipfels aus dem Jahr 1996 ein Zustand, in dem „alle Menschen jederzeit physisch und ökonomisch Zugang zu sicherer und nahrhafter Nahrung haben, die ihre Ernährungsbedürfnisse und Vorlieben befriedigt und ihnen ein aktives und gesundes Leben ermöglichen“. Dabei bleibt offen, wie dieses Ziel erreicht werden soll.

POLITIKUM: In welchen Punkten unterscheidet sich hiervon das Konzept der „Ernährungssouveränität“?

Jan Urhahn: Die internationale Kleinbauernorganisation „La Via Campesina“ hat als Gegenentwurf dazu das Konzept der Ernährungssouveränität entwickelt. Dieses Konzept geht einen Schritt weiter und fragt danach, wie und auf welche Weise Nahrung erzeugt, verteilt und verbraucht wird. Ernährungssouveränität betont daher auch den Zugang zu Produktionsmitteln wie Land, Saatgut und Wasser, während es bei der Ernährungssicherheit in erster Linie um die Verfügbarkeit von Nahrung geht. Anders als Ernährungssicherheit geht Ernährungssouveränität von dem Recht aller Völker und Länder aus, ihre Landwirtschafts- und Ernährungspolitik selbst zu definieren. Ziel dabei ist es, jedem Menschen zu ermöglichen, sich in Würde selbst zu ernähren und das Menschenrecht auf Nahrung umzusetzen. Die Forderung nach Ernährungssouveränität ist also auch eine Forderung nach mehr Demokratie und Dezentralisierung. Jedoch sieht das Konzept den Staat auch in der Verantwortung. Er muss die Rahmenbedingungen garantieren. Dazu gehört zum Beispiel der Schutz der bäuerlichen Landwirtschaft vor den Wirtschaftsinteressen internationaler Saatgut- und Agrarchemiekonzerne sowie vor Billigimporten aus dem Ausland. Ebenso wichtig sind Landreformen sowie die Achtung der Rechte der Bauern und Bäuerinnen und der Landarbeiter*innen. Venezuela, Nepal, Senegal, Bolivien und Mali haben das Konzept der Ernährungssouveränität bereits in ihren Verfassungen verankert.

POLITIKUM: Haben sich aus dieser Verankerung bislang praktische Konsequenzen ergeben?

Jan Urhahn: Generell ist es so, dass die Inhalte von Verfassungen über nationale Gesetze, Verordnungen oder ähnliches umgesetzt werden müssen. Im Fall von Venezuela führte die Aufnahme von Ernährungssouveränität in die Verfassung zum Beispiel dazu, dass die landwirtschaftliche Erzeugung ausgeweitet wurde, um unabhängiger…

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