Die Autorin

Dr. Carola Westermeier vertritt die Professur für internationale Beziehungen und internationale politische Ökonomie an der Goethe-Universität Frankfurt. Sie ist zudem Co-Leiterin eines Forschungsprojekts zu Finanz­infra­strukturen und geoökonomischer Sicherheit an der Justus-Liebig-Universität Gießen.

Von globalisierter Vernetzung zu neuer Fragmentierung?

Russland greift die Ukraine an. Panzer rollen auf Kiew zu und Luftangriffe treffen die zivile Bevölkerung. Bereits vor Beginn der Invasion hatten sich die westlichen Staaten darauf verständigt, dass eine Reaktion auf die russische Aggression vor allem mittels wirtschaftlicher Sanktionen geschehen würde. Sanktionen geschehen aber nicht im luftleeren Raum, sie greifen an konkreten Punkten an, die Handel ermöglichen – oder eben verhindern.


Infrastrukturen und speziell Finanzinfrastrukturen sind die Lebensadern des internationalen Handels, sie lenken die Geldflüsse und ermöglichen den Zugriff darauf. Sie sind daher essentiell für Sanktionen, da sie konkrete Angriffspunkte bieten. Konkret werden etwa über Finanzinstitute, die Geld von einem Punkt zum anderen schicken, oder über Konten bei Zentralbanken private und staatliche Zahlungsflüsse kontrolliert und unterbrochen. Nicht jede Bank ist mit jeder Bank verbunden, sondern das internationale Zahlungsgeflecht hat zentrale Bündel und abgekoppelte Posten. Das inzwischen wohl bekannteste System, das Banken miteinander verbindet, ist das SWIFT-Netzwerk. Es hat sich als eine Art Nachrichtenstandard zum sicheren Versenden von Zahlungsinformationen etabliert, ähnlich wie das E-Mail-Format als Nachrichtensystem im digitalen Raum. SWIFT ist daher eher ein Kommunikationssystem und weniger ein Zahlungssystem, über das Transaktionen umfassend abgewickelt werden. 

Aufgrund dieser zentralen Stellung des SWIFT-Systems gilt der Ausschluss aus SWIFT als die wirkungsvollste Sanktion, sozusagen als die „Atombombe“ unter den Sanktionen. Diese nicht ganz unproblematische militärische Analogie hinkt allerdings. Eine Unterbrechung der Zahlungsströme hat nicht die gleiche verheerende Wirkung wie ein Bombeneinschlag, vielmehr führt ein Ausschluss Russlands aus SWIFT zu einem langsamen Versiegen und Austrocknen von finanziellen Mitteln, hat also eine mittel- bis langfristige Wirkung. Die ausbleibenden finanziellen Mittel sollen die russische Wirtschaft ins Stocken bringen, so dass auch die Oligarchen Russlands in ihrem luxuriösen Lebensstil eingeschränkt werden. Direkter als die Sanktionen, die den Handel einschränken, sind jedoch die Interventionen in die Zentralbankreserven. Das „Einfrieren“ der bei ausländischen Zentralbanken liegenden russischen Devisenreserven ist die wohl drastischste und vermutlich wirkungsvollste Maßnahme unter den Sanktionen. Denn diese Reserven können nun nicht mehr mobilisiert werden, um das Ausbleiben ausländischer Zahlungsströme zu substituieren. Auch hier sind es die infrastrukturellen Verflechtungen der Zentralbanken, die als Angriffspunkt dienen. Dennoch: Kein Panzer wird durch die Sanktionierung russischer Banken unmittelbar gestoppt. Damit Sanktionen wirksam werden und die gewünschte Wirkung entfalten, bedarf es eines langen Atems. Das ist mitunter schwer zu ertragen angesichts der konkreten kriegerischen Zerstörungen.

Sanktionen nutzen die lenkende Wirkung von Infrastrukturen
Finanzsanktionen und militärische Operationen haben eine gemeinsame Basis, um ihre sehr unterschiedlichen Wirkungen zu entfalten: Sie nutzen die lenkende Wirkung von Infrastrukturen. Militärische Operationen konzentrieren sich oftmals auf „strategische Ziele“, womit zumeist militärische und zivile, sogenannte kritische Infrastrukturen gemeint sind, d. h. materielle Vorrichtungen wie Brücken, Wasser- und Energieversorgung, die zur Aufrechterhaltung des alltäglichen Lebens unerlässlich sind. Finanzsanktionen setzen an anderen konkreten Punkten und Kanälen an, um die Finanzflüsse zu unterbrechen. Auch wenn Finanztransaktionen inzwischen digitalisiert und in Datenform zirkulieren, basieren sie trotzdem auf konkreten Kanälen und Plattformen (Westermeier 2020). Finanzströme fließen nicht einfach, sondern werden von einem Punkt zu einem anderen gesendet, vor allem bei internationalen Zahlungen. Finanzinfrastrukturen weisen dabei die gleichen Merkmale auf, die auch andere Arten von Infrastrukturen kennzeichnen. Sie lenken die Ströme von Menschen oder Waren und bieten zugleich Angriffspunkte für staatliche Interventionen. Oft sind mit ihnen politische Ambitionen verknüpft. Die Entstehung der Europäischen Union ist geprägt von großen Infrastrukturprojekten, die zugleich auch Formen von Gemeinschaft stiften sollten, etwa mittels verbesserter ökonomischer Konnektivität oder Mobilität (Opitz/Tellmann 2015). Auch wenn die meisten Infrastrukturen von privaten Akteuren erbaut und betrieben werden, sind sie nicht unpolitisch. Gerade für sicherheitspolitische Überlegungen spielen Infrastrukturen eine zentrale Rolle, denn viele Sicherheitspraktiken sind ohne Infrastrukturen als Angriffs- und Kontrollpunkte schlicht nicht durchführbar. Sanktionen als derzeit relevanteste sicherheitspolitische Maßnahmen sind ohne infrastrukturelle Kontrolle daher undenkbar – nur wer Zugriff auf Infrastrukturen hat, kann die Sicherheitsinteressen durchsetzen. Jedoch ist dieser infrastrukturelle Zugriff ungleich verteilt. 

Sanktionen sind keine neue politische Idee, sondern haben eine lange Geschichte. In den Weltkriegen wurden sie ergänzend zur militärischen Kriegsführung eingesetzt, um die zivile Bevölkerung zu treffen. Blockaden sorgten für Nahrungsmittelknappheit und waren ein Mittel des Krieges. Heute sollen sie militärische Mittel weniger ergänzen, sondern ersetzen, schreibt der Historiker Nicholas Mulder (2022). Zwar wird die Ukraine mit Waffenlieferungen unterstützt und die NATO-Truppen sind in Bereitschaft versetzt, aber sowohl die USA als auch die Europäische Union haben deutlich gemacht, dass sie die Ukraine nicht mit eigenen Truppen verteidigen werden. Ein Ausschluss russischer Banken aus dem internationalen Zahlungssystem soll daher als eine Eskalationsstufe und Zeichen der Entschlossenheit verstanden werden, um fehlendes militärisches Eingreifen zu kompensieren.

Bereits in der Vergangenheit war das SWIFT-System Ansatzpunkt internationaler Sanktionen. SWIFT ist selbst ein Produkt der Ausweitung des internationalen Finanzhandels und der Globalisierung. Es waren von Beginn an europäische und US-amerikanische Banken, die das Netzwerk vorantrieben und es zu einem obligatorischen Knotenpunkt des internationalen Zahlungssystems machten (de Goede 2020). Lange Zeit galt SWIFT dabei als neutrales und verlässliches Netzwerk, dies änderte sich jedoch mit einer sicherheitspolitischen Wende. Die Instrumentalisierung von SWIFT für sicherheitspolitische Zwecke begann schon nach dem Anschlag auf das World Trade Center 2001. Im Zuge des „War against Terror“ sicherten sich die USA den Zugang zu Transaktionsdaten, die über das SWIFT-System laufen. Die zentrale Position von SWIFT wurde genutzt, um internationale Zahlungsströme aufzudecken und Terrorfinanzierung zu verhindern. Öffentlich bekannt wurde diese Praxis in der SWIFT-Affäre 2006, die offenbarte, dass auch europäische Bankdaten an US-Geheimdienste weitergegeben wurden. Die Europäischen Länder waren düpiert, nicht zuletzt da SWIFT mit Sitz in Brüssel dem EU-Recht untersteht. Letztendlich setzten die USA jedoch ihre Sicherheitsinteressen durch und können nach Verhandlungen weiterhin auf die SWIFT-Daten zugreifen. 

Nicht nur die SWIFT-Affäre 2006 zeigt, dass die USA willens sind, Finanzinfrastrukturen politisch zu nutzen, auch wenn engste Partner widersprechen. Das war erneut der Fall, als der Iran 2018 ein zweites Mal vom SWIFT-Netzwerk ausgeschlossen wurde. Die politische Instrumentalisierung von SWIFT hatten jedoch nicht nur Auswirkungen auf die ausgeschlossenen Länder, sondern ebenso auf die Beziehungen zwischen den Staaten, die Sanktionen beschließen. Konkret hatten Sanktionen für Dispute zwischen den USA mit der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich gesorgt. Dabei wurde deutlich, dass Finanzinfrastrukturen politisch geprägt sind und dass insbesondere die USA zunehmend bereit sind, ihre zentrale Stellung im etablierten Finanzsystem zu instrumentalisieren oder sogar als Waffe zu gebrauchen (Farrell, Newman 2019). 

Die doppelte Abkoppelung Irans aus dem internationalen Finanzwesen
Der Ausschluss des Irans aus dem SWIFT-System gilt oftmals als Beispiel für die (vermeintliche) Wirksamkeit von Sanktionen. Iran wird seit 2010 aufgrund seines Atomprogramms sanktioniert und wurde 2015 vom SWIFT-Netzwerk ausgeschlossen. Konkret war es die Europäische Kommission, die SWIFT zu diesem Schritt gezwungen hatte. Für den Iran hatte der Ausschluss dramatische wirtschaftliche Auswirkungen. Die iranische Währung Rial verlor drastisch an Wert, die Öl-Exporte brachen ein. Der SWIFT-Ausschluss übte Druck auf den Iran aus, der letztendlich dem Atom-Abkommen zustimmte. Die Wiederaufnahme in das SWIFT-Netzwerk war eine wichtige Forderung des Iran im sogenannten Iran-Deal. Aber selbst als der Iran zwischenzeitlich wieder in das Netzwerk aufgenommen wurde, verlief die wirtschaftliche Erholung schleppend. Der Ausschluss hatte deutliche Spuren hinterlassen, denn weiterhin waren westliche Banken zögerlich in der Wiederaufnahme der Finanzbeziehungen mit dem Iran. Es zeigte sich, dass infrastrukturelle Beziehungen nicht kurzfristig erzwingbar sind. Als der damalige US-Präsident Trump sich 2018 aus dem internationalen Abkommen mit dem Iran zurückzog, wurde das Land ein zweites Mal vom Netzwerk ausgeschlossen. Dieses Mal aber ohne Zustimmung der Europäer*innen, denn die EU und das Vereinigte Königreich wollten am Iran-Abkommen festhalten.

Als SWIFT den Iran 2018 abkoppelte, war daher nicht die Europäische Kommission ausschlaggebend, sondern SWIFT selbst hatte diesen Entschluss gefasst. Offiziell wurde diese Entscheidung mit der Erhaltung der Stabilität und der Integrität des Netzwerkes begründet. Die USA hatten jedoch zuvor damit gedroht, Sanktionen gegen Mitarbeiter*innen und den Vorstand von SWIFT auf den Weg zu bringen, wenn das Netzwerk weiterhin Transaktionen mit dem Iran ermöglicht hätte. Die Rolle der USA und der US-Banken im internationalen Finanzsystem ist derart zentral, dass das SWIFT-Netzwerk selbst auf die US-Verbindungen essentiell angewiesen ist. Auch die Europäer und die Briten mussten schnell feststellen, dass sie gegen die USA kaum internationalen Handel mit dem Iran betreiben konnten. Um politische Handlungsfähigkeit und überhaupt die Möglichkeit für Handel mit dem Iran herzustellen, musste eine europäische SWIFT-Alternative errichtet werden, die aber nach wie vor auf humanitäre Zwecke begrenzt ist. Europäische Banken waren nicht bereit, gegen den Willen der USA zu handeln und Transaktionen in den Iran zu ermöglichen. 

Die USA als zentraler infrastruktureller Akteur im globalen Finanzsystem
Die zentrale Rolle der USA beruht neben ihrem Zugriff auf das SWIFT-System auf weiteren infrastrukturellen Komponenten: dem US-Dollar als internationale Leitwährung und dem sogenannten Korrespondenzbankensystem. Der Großteil des internationalen Handels wird über die Leitwährung abgewickelt, die von der Federal Reserve kontrolliert wird. Die USA haben in der Vergangenheit den Anspruch erhoben, dass alle Transaktionen in US-Dollar der US-Jurisdiktion unterworfen sind. Auch wenn SWIFT als Schlagwort in der politischen Diskussion fungiert, sind es vor allem private Banken, die Sanktionen durchsetzen und deren Auswirkungen direkt spüren. Besonders relevant sind die sogenannten Korrespondenzbanken, die internationale Zahlungen für andere Banken abwickeln und somit weitere Knotenpunkte für Zahlungsströme sind. Ihre Anzahl hat in den letzten Jahren abgenommen, was die bestehenden Korres­pondenzbanken zu wichtigen Angriffspunkten für Sanktionen macht. Der russischen Sberbank wurde im Zuge der US-Sanktionen im Februar 2022 gegen Russland die Rolle als Korrespondenzbank mit dem US-Finanzsystem entzogen, was es ihr somit unmöglich macht, mit US-Dollar zu handeln. Sie ist die größte russische Bank in Staatsbesitz und hält allein fast ein Drittel der russischen Bankeinlagen. Mit der Verbannung aus dem US-Finanznetz spielt sie international keine Rolle mehr. Im Fall des Irans wurden zudem „secondary sanctions“ eingesetzt. Damit sind Sanktionen gemeint, die für alle wirtschaftlichen Akteure gelten, auch wenn deren Aktivitäten in keiner Weise die USA direkt betreffen. Auch diese Sanktio­nen können die USA nur aufgrund ihrer zentralen Position in den globalen Finanzverflechtungen durchsetzen. Die Sekundärsanktionen dienen vor allem der Abschreckung, denn sie setzen letztendlich darauf, dass es sich kein international agierendes Unternehmen und keine Bank leisten kann, vom Dollar-Handel ausgeschlossen zu werden bzw. den Anschluss an das US-Finanzsystem zu verlieren. 

Private Banken und Finanzakteure setzen politische Sanktionen um 
Auch wenn Sanktionen politisch beschlossen werden, obliegt ihre Durchsetzung zu großen Teilen privaten Akteuren, speziell Banken. Sie sind verpflichtet, die Transaktionen ihrer Kund*innen zu durchleuchten und solche zu verhindern, die gegen die Sanktionen verstoßen. Dazu nutzen Banken Sanktionslisten und teil-automatisierte Systeme, um die hohen Transaktionsvolumina zu bewältigen. Wenn Banken verdächtige Transaktionen erfassen, melden sie diese an staatliche Stellen, die diese Meldungen dann verfolgen und gegebenenfalls strafrechtliche Maßnahmen einleiten. Sanktionen und die Kontrolle von Finanzbeziehungen beruhen somit auf einer Art staatlich-privater Kooperation bzw. erzwungener Kooperation. Wenn Banken sich nicht genügend um die Durchsetzung der Sanktionen bemühen, drohen ihnen drakonische Strafen. Die Londoner Standard Chartered Bank wurde 2021 zur Zahlung von 1,1 Milliarden US-Dollar verpflichtet, weil ihr Ableger in Dubai offenbar gegen US-Sanktionen verstoßen hatte. Zusätzlich musste die Bank weitere 102 Millionen Pfund an die britischen Behörden zahlen. Diese hohen Strafzahlungen und die damit verbundene schlechte Berichterstattung über die Bank haben für eine ausreichend abschreckende Wirkung im internationalen Bankensystem gesorgt. 

Alternative Systeme und ein zunehmend fragmentiertes Finanzsystem 
Neben Banken und dem SWIFT-Netzwerk sind internationale Zahlungsnetzwerke wie VISA und Mastercard und digitale Plattformen infrastrukturelle Akteure, die alltägliche internationale Zahlungen effektiv verhindern können. Was ein Aussetzen dieser Netzwerke bedeutet, konnten russische Kund*innen bereits 2014 erfahren: Als Reaktion auf die Krim-Krise hatten westliche Staaten Sanktionen beschlossen, die unter anderem dazu führten, dass 500.000 Kredit- und Debitkarten der US-Kreditkartenunternehmen nicht mehr nutzbar waren. Russland hat daraufhin ein eigenes Zahlungssystem und -netzwerk eingeführt mit dem Namen „Mir“ (deutsche Übersetzung sowohl Welt als auch Frieden). Als im Zuge der russischen Annexion der Krim der Ausschluss Russlands aus dem SWIFT diskutiert, aber nicht umgesetzt wurde, brachte Moskau auch hierfür eine Alternative auf den Weg. Diese ist aber vorwiegend für Zahlungen innerhalb der russischen Föderation relevant und bei weitem nicht so leistungsfähig wie das international etablierte System. Etwas anders verhält es sich mit dem chinesischen “Cross-Border Interbank Payment System” (CIPS), das als umfassendes Zahlungssystem agiert. Zwar nutzt auch CIPS derzeit die Vorteile des SWIFT-Systems und interagiert damit, es ist aber auch in der Lage unabhängig davon zu operieren (Nölke i. E.). 

Eine Abkoppelung vom westlich-dominierten Finanzsystem, das sich mit dem chinesischen CIPS-System bereits andeutet, setzt sich noch deutlicher mit digitalen Finanzinfrastrukturen fort. Kryptowährungen wurden als technologisch getriebene Alternative zu den etablierten Finanzsystemen initiiert. Auch sie treiben damit eine politische Ambition voran: dem Staat den Zugriff auf das Geld zu entziehen. Damit wurden sie nicht zuletzt auch für Kriminelle attraktiv, aber auch für Aktivist*innen, die sich autoritären Staatsstrukturen widersetzen. Vor allem der Bitcoin hat sich inzwischen etabliert und der Zugang zu dieser alternativen Finanzinfrastruktur wird auch von etablierten Finanzakteuren ermöglicht. Genau hier setzt der staatliche Zugriff jedoch wieder ein: Wenn Kryptowährungen als Kanal für internationale Transaktionen etwa zwischen Unternehmen genutzt werden sollen, ist ein Umtausch in Fiat-Währungen, also in Dollar oder Euro, notwendig, denn in Bitcoin lassen sich bisher keine Löhne zahlen oder Rechnungen begleichen. Spätestens hier sind wieder Banken oder andere Finanzinstitute im Spiel, die zur Umsetzung der Sanktionen verpflichtet sind. Auch wenn Kryptowährungen als Alternative zum staatlichen regulierten Finanzsystem entwickelt wurden, bieten sie bisher noch keinen umfassenden Ersatz für die staatlich kontrollierbaren Finanzströme. 

Die politische Instrumentalisierung der bestehenden Finanzsysteme und zunehmende geopolitische Spannungen sind jedoch Katalysatoren für die Entwicklung von staatlichen digitalen Währungen, allen voran des digitalen Renminbis. Chinas Finanzsystem ist aufgrund seiner digitalen Infrastrukturen bereits besonders unabhängig von den westlich dominierten Systemen. Insbesondere inländische Zahlungen geschehen über digitale Kanäle, die von jungen Finanz-Technologie-Unternehmen wie ANT Financial und Tencent bereitgestellt werden. Die chinesische Zentralbank hat bereits vor einigen Jahren mit der Entwicklung einer staatlichen digitalen Währung begonnen, dem digitalen Renminbi. Diese inzwischen fortgeschrittene digitale Finanzinfrastruktur und -währung hat westliche Zentralbanken dazu bewogen, selbst digitale Zentralbankwährungen voranzutreiben. Bis aber digitale Zentralbankwährungen eine praktische Alternative zum bestehenden Finanzsystem bieten, werden noch einige Jahre vergehen. Bisher ist der digitale Renminbi nur auf den chinesischen Markt begrenzt, jedoch zeichnen sich mit digitalen Zentralbankwährungen Systeme ab, welche die etablierte Finanzordnung auf infrastruktureller Ebene neugestalten werden. Angesichts der geopolitischen Relevanz dieser Neuordnung wird deutlich, dass die digitalen Zentralbankwährungen nicht nur finanz-, sondern ebenso sicherheitspolitische Projekte sind. Nicht zuletzt steht hier die Sanktionsmacht der westlichen Regierungen, allen voran der US-Regierung auf dem Spiel. Je stärker also Finanzinfrastrukturen als geopolitische Waffe eingesetzt werden, desto mehr werden sie selbst als problematisch und sogar bedrohend wahrgenommen. Der universelle Anspruch von Infrastrukturen und ihre lenkende Wirkung wird somit eingeschränkt und die Effektivität der politischen Eingriffe selbst wird beeinträchtigt, was zugleich politische Handlungsfähigkeit begrenzt. Geopolitisches Handeln ist somit nicht nur auf infrastrukturelle Angriffspunkte angewiesen, sondern wird selbst durch Infrastrukturen ermöglicht und beschränkt.


Literatur
de Goede, Marieke 2021: Finance/security infrastructures. In: Review of International Political Economy, (28)2, S. 351–368.

Farrell, Henry/Newman, Abraham L. 2019: Weaponized Interdependence: How Global Economic Networks Shape State Coercion. In: International Security 44(1), S. 42–79.

Mulder, Nicholas 2022: The economic weapon. The rise of sanctions as a tool of modern war. New Haven: Yale University Press.

Nölke, Andreas (i. E.): Geoeconomic infrastructures: Building Chinese-Russian alternatives to SWIFT. In: Braun/Benjamin/Koddenbrock, Kai (Hg.): Capital Claims: The Political Economy of Global Finance. London: Routledge.

Opitz, Sven/Tellmann, Ute 2015: Europe as Infrastructure: Networking the Operative Community. South Atlantic Quarterly 114 (1), S. 171–190.

Westermeier, Carola 2020: Money is data – the platformization of financial transactions. In: Information, Communication & Society 23 (14), S. 2047–2063.


Zitation:
Westermeier, Carola (2022). Von globalisierter Vernetzung zu neuer Fragmentierung? Finanzinfrastrukturen als geopolitische Spannungs- ­und Kriegsfelder, in: POLITIKUM 2/2022, S. 14-21, .DOI https://doi.org/10.46499/2032.2373.

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